Die Insel Des Vorigen Tages
an das zu denken, was er sich lieber nicht vorstellen wollte; denn er wußte, daß es zum Wesen der Liebe gehört, sich im Exzeß auszutoben.
Durch ebenjenen Exzeß verletzt, vergaß er, daß Lilia Ferrante im Glauben, er sei Roberto, ja nun gerade den Beweis lieferte, den er sich so sehnlichst gewünscht hatte, und mit einemmal haßte er sie, sprang auf und rannte durchs Schiff und schrie: »O Elende, dein ganzes Geschlecht würde ich beleidigen, wenn ich dich Frau nennen würde! Was du getan hast, ziemt einer Furie mehr als einem Weibe, und auch der Titel einer wilden Bestie wäre noch zuviel Ehre für solch ein höllisches Wesen! Du bist schlimmer als die Natter, an deren Gift Kleopatra starb, schlimmer als die Viper, die in ihrer Tücke die Vögel säugt, um sie alsdann ihrem Hunger zu opfern, schlimmer als die Schlange Amphisbena mit einem Kopf an jedem Ende, die jeden, der nach ihr greift, mit soviel Gift bespritzt, daß er im Nu daran stirbt, schlimmer als der Leps mit vier Giftzähnen, der alles verdirbt, worein er beißt, schlimmer als die Boa, die sich von Bäumen fallen läßt und ihre Opfer erwürgt, schlimmer als die Grubenotter, die ihr Gift in die Brunnen speit, schlimmer als der Basilisk, der mit Blicken tötet! Infernalische Megäre, die weder Himmel noch Erde, weder Geschlecht noch Glauben kennt, Ungeheuer, geboren aus einem Stein, einem Berg, einer Eiche!«
Dann verstummte er und besann sich darauf, daß sie sich Ferrante ja im Glauben hingab, er sei Roberto, und daß sie daher nicht verurteilt, sondern vor seiner Tücke bewahrt werden mußte: ›Warte, Geliebte, der tritt in meiner Gestalt vor dich hin, weil er weiß, daß du keinen anderen lieben könntest als mich!
Was kann ich jetzt anderes tun als mich selber hassen, um ihn hassen zu können? Kann ich zulassen, daß du verraten wirst, indem du seine Umarmung genießest im Glauben, es sei die meine? Ich, der ich schon hinzunehmen bereit war, hier in diesem Gefängnis zu leben, um meine Tage und Nächte im Gedanken an dich zu verbringen, kann ich jetzt zulassen, daß du mich zu verzaubern meinst, während du seinem Zauber erliegst? O Geliebte, Geliebte, hast du mich nicht schon genug bestraft, ist dies nicht ein Sterben, ohne zu sterben?«
Von der Liebeskrankheit oder erotischen Melancholie
Zwei Tage lang floh Roberto von neuem das Licht. In seinen Träumen sah er nur Tote. Sein Zahnfleisch und sein ganzer Mund hatten sich entzündet. Aus den Eingeweiden hatten die Schmerzen auf die Brust übergegriffen, dann auf den Rücken, und er erbrach bitteren Schleim, obwohl er nichts zu sich genommen hatte. Die schwarze Galle, die seinen ganzen Körper biß und ätzte, gärte darin in Blasen ähnlich denen, die auf dem Wasser blubbern, wenn es stark erhitzt wird.
Zweifellos litt er an jener Krankheit (und es ist kaum zu glauben, daß er es erst jetzt bemerkte), die man damals allgemein Erotische Melancholie nannte. Hatte er nicht an jenem Abend bei Arthénice erklärt, daß das Bild der geliebten Person die Liebe weckt, indem es sich als Trug- oder Abbild durch den Kanal der Augen einschleicht, die als Türhüter und Späher der Seele fungieren? Von dort gleitet jedoch dieser Liebeseindruck langsam die Adern hinunter und gelangt zur Leber, wo er die Begierde weckt, die den ganzen Körper in Aufruhr versetzt und geradewegs aufsteigt, um die Zitadelle des Herzens zu erobern, von wo aus sie die edelsten Kräfte des Hirns angreift und sich unterwirft.
Mit anderen Worten, die Begierde bringt ihre Opfer fast um den Verstand, die Sinne täuschen, der Geist umnebelt sich, die Einbildungskraft läßt nach, und der arme Verliebte magert ab, verzehrt sich, seine Augen sinken in die Höhlen, er seufzt und vergeht vor Eifersucht.
Was tut man dagegen? Roberto glaubte, das Allheilmittel zu kennen, das ihm indessen versagt war: die geliebte Person zu besitzen. Er wußte nicht, daß das nicht genügte, da Melancholiker nicht aus Liebe zu solchen werden, sondern umgekehrt sich verlieben, um ihre Melancholie zum Ausdruck zu bringen - mit Vorliebe an abgelegenen Orten, um mit der abwesenden Geliebten geistig zu verkehren und nur daran zu denken, in ihre Gegenwart zu gelangen; doch wenn sie dieses Ziel dann erreicht haben, verdüstern sie sich noch mehr und würden am liebsten schon wieder ein anderes Ziel anstreben.
Roberto versuchte sich zu erinnern, was er von Männern der Wissenschaft gehört hatte, die die Erotische Melancholie studiert hatten. Verursacht wurde
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