Die Insel Des Vorigen Tages
war nun das Wrack ohne Mannschaft, indes die letzten Ratten über Bord sprangen und in das Wasser fielen, vor dem sie hatten fliehen wollen.
Es scheint kaum glaublich, daß Ferrante in diesem Pandämonium noch an Lilia gedacht haben soll, von ihm würden wir erwarten, daß er nur um sein eigenes Heil besorgt war. Ich weiß nicht, ob Roberto bedacht hatte, daß er gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit verstieß, doch um nicht diejenige untergehen zu lassen, der er sein Herz geschenkt hatte, mußte er notgedrungen auch Ferrante ein Herz zugestehen, sei’s auch nur für einen Augenblick.
Ferrante zerrt also Lilia an Deck, und was tut er? Die Erfahrung lehrte Roberto: Er bindet sie an ein Brett, um sie mit diesem ins Meer gleiten zu lassen und darauf zu vertrauen, daß nicht einmal die Ungeheuer der Meerestiefen einer solchen Schönheit das Mitleid verweigern würden.
Sodann ergreift Ferrante selbst ein Stück Holz und macht Anstalten, sich daran festzubinden. Doch da erscheint, Gott weiß wie von seinem Marterpfahl im Kielraum befreit, die Hände noch zusammengekettet, mehr einem Toten als einem Lebenden gleichend, aber die Augen flammend vor Haß, Biscarat.
Biscarat, der während der ganzen Reise, wie der Hund auf der Amarilli , im Bauche des Schiffes gelitten hatte, dem jeden Tag die grausige Wunde wieder geöffnet worden war, um dann recht und schlecht wieder versorgt zu werden, Biscarat, der in all jenen Monaten nur einen einzigen Gedanken gehabt hatte: sich an Ferrante zu rächen.
Ein Deus ex machina , erscheint er urplötzlich hinter Ferrante, der schon einen Fuß auf der Brüstung hat, hebt die zusammengeketteten Hände hoch über Ferrantes Kopf und senkt sie vorne vor seinem Gesicht, die Kette als Schlinge benutzend, bis er ihm die Kehle zudrücken kann. Und mit dem Ruf »Mit mir gemeinsam endlich zur Hölle!« sieht man ihn - fühlt man ihn beinahe - so fest zudrücken, daß Ferrantes Genick bricht, während die Zunge zwischen den gotteslästerlichen Lippen hervorkommt, um ihren letzten Fluch zu begleiten. Bis der leblose Körper des Gerichteten vornüberstürzend den noch lebenden seines Richters wie einen Mantel mit sich reißt und der also Gerächte siegreich eintaucht in die sein endlich befriedetes Herz noch bekriegenden Fluten.
Roberto gelang es nicht, sich vorzustellen, was Lilia bei diesem Anblick empfand, und er hoffte, daß sie nichts gesehen hatte. Da er sich nicht erinnern konnte, was mit ihm selbst geschehen war, als ihn der Strudel erfaßt hatte, gelang es ihm auch nicht, sich vorzustellen, was mit ihr geschehen sein konnte.
In Wirklichkeit war er so sehr damit beschäftigt, Ferrante seiner gerechten Strafe zuzuführen, daß er beschloß, erst einmal dessen weiteres Schicksal im jenseits zu verfolgen. Lilia ließ er solange im großen Strudel.
Ferrantes lebloser Körper war mittlerweile an einen einsamen Strand geschwemmt worden. Das Meer hatte sich beruhigt, es war jetzt so reglos wie Wasser in einer Tasse, auch am Ufer gab es keinerlei Dünung. Ein leichter Dunst lag über dem Ganzen, wie es am Abend vorkommt, wenn die Sonne schon untergegangen ist, aber die Nacht noch nicht vom Himmel Besitz ergriffen hat.
Gleich hinter dem Strand, ohne daß Bäume oder Büsche sein Ende bezeichneten, sah man eine gänzlich mineralische Ebene, in der selbst das, was aus der Ferne wie Zypressen aussah, sich dann als bleierne Obelisken erwies. Am Horizont im Westen erhob sich ein Bergmassiv, das fast schon ganz dunkel erschien, hätte man nicht da und dort kleine Flämmchen an den Hängen erblickt, die ihm das Aussehen eines Friedhofs gaben. Doch über jenem Massiv hingen lange schwarze Wolken mit einem Bauch von erlöschender Glut, Wolken in einer soliden, kompakten Form gleich jenen Sepiaknochen, die man auf manchen Gemälden oder Zeichnungen sieht und die sich, betrachtet man sie von der Seite, auf einmal zu Schädelknochen fügen. Zwischen Wolken und Berg war der Himmel noch stellenweise blaßgelb getönt und man hätte ihn dort wohl den letzten noch von der sterbenden Sonne berührten Luftraum genannt, hätte man nicht den Eindruck gehabt, daß jener letzte, bemühte Rest von Sonnenuntergang nie einen Anfang gehabt hatte und nie ein Ende haben würde.
Wo die Ebene anzusteigen begann, erblickte Ferrante eine kleine Schar von Menschen und ging auf sie zu.
Als Menschen oder doch menschenähnlich waren sie aus der Ferne erschienen, doch beim Näherkommen sah er, daß sie, wenn sie einst Menschen
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