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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Mithin hatte er nicht sich selbst gesehen, sondern einen anderen, der ihm sehr ähnlich war und dessen Spur er nun verloren hatte. Natürlich dachte er sofort an Ferrante. Jawohl, Ferrante war ihm nach Casale gefolgt oder vorausgeeilt, vielleicht befand er sich in einer anderen Kompanie desselben Regiments oder in einem der französischen Regimenter, und während Roberto sein Leben in jenem Fort vor den Mauern riskierte, betätigte er sich, wer weiß wie, als Kriegsgewinnler!
    Doch da Roberto inzwischen dazu neigte, über seine kindlichen Phantasien vom bösen Doppelgänger-Bruder zu lächeln, kam er beim Nachdenken über seine Vision bald zu dem Ergebnis, daß er wohl nur jemanden gesehen hatte, der ihm irgendwie ähnlich sah.
    Er wollte den Vorfall vergessen. Jahrelang hatte er von einem unsichtbaren Bruder phantasiert, und an diesem Abend hatte er ihn zu sehen geglaubt, doch gerade - sagte er sich im Versuch, mit seiner Vernunft seinem Herzen zu widersprechen - wenn er jemanden gesehen hatte, konnte dieser jemand keine Einbildung sein, und da Ferrante ja Einbildung war, konnte der jemand, den er gesehen hatte, nicht Ferrante sein.
    Ein Magister der Logik hätte sicherlich Einwände gegen diesen paralogischen Schluß erhoben, doch für Roberto mochte er vorerst genügen.
    Große Kunst des Lichts und der Schatten
    Nachdem er seinen Brief den ersten Erinnerungen an die Zeit der Belagerung gewidmet hatte, fand Roberto in der Kapitänskajüte einige Flaschen spanischen Weins. Wir können es ihm nicht verdenken, wenn er, nachdem er Feuer gemacht und sich ein paar Eier mit Stückchen geräucherten Fisches gebraten hatte, eine der Flaschen entkorkte und sich ein königliches Mahl an einem beinahe nach allen Regeln der Kunst gedeckten Tisch gönnte. Wenn er lange Zeit schiffbrüchig bleiben sollte, würde er, um nicht zu vertieren, sich an die guten Sitten halten müssen. Er erinnerte sich, daß in Casale, wenn die Verwundungen und die Krankheiten selbst die Offiziere dazu verleiteten, sich wie Schiffbrüchige zu benehmen, Seigneur de Toiras darauf bestand, daß zumindest bei Tisch ein jeder sich darauf besann, was er in Paris gelernt hatte: »In sauberen Kleidern erscheinen, nicht nach jedem Happen einen Schluck trinken, sich vor dem Trinken den Bart und den Schnurrbart abwischen, sich nicht die Finger ablecken, nicht in den Teller spucken, sich nicht in die Tischdecke schneuzen. Wir sind schließlich keine Kaiserlichen, Messieurs!«
    Am nächsten Morgen war er beim ersten Hahnenschrei aufgewacht, aber noch lange liegengeblieben.
    Als er dann von neuem, diesmal von der Galerie aus, das Fenster bis auf einen Spalt geschlossen hatte, begriff er, daß er später als am vorigen Tag aufgestanden war und die Dämmerung schon in die Morgenröte überging: Hinter den Hügeln wurde der Himmel zwischen mehlig zerstäubenden Wölkchen schon rosa.
    Da jedoch die ersten Strahlen schon bald den Strand erhellen und damit für seine Augen unerträglich machen würden, beschloß Roberto, dorthin zu schauen, wo die Sonne noch nicht herrschte, und begab sich über die Galerie auf die andere Seite der Daphne , von der aus man das Land im Westen sah. Es erschien ihm zunächst wie ein ausgezacktes, gleichmäßig türkisblaues Profil, doch schon nach wenigen Minuten begann es sich in zwei horizontale Streifen zu teilen: Ein grünes Band mit hellgrünen Palmen leuchtete bereits unter der dunklen Zone der Berge, über der noch beharrlich die Wolken der Nacht dominierten. Doch auch diese, im Zentrum noch tiefschwarz, zerfaserten langsam an den Rändern in eine Mischung aus Weiß und Rosa.
    Es war, als würde die Sonne, anstatt die Wolken frontal anzustrahlen, sich abmühen, aus ihrem Innern hervorzubrechen, und als würden die Wolken, obwohl an den Rändern in Licht zerfließend, nebelschwer anschwellen, um trotzig sich zu behaupten und den Himmel nicht zu einem getreuen Spiegel des Meeres werden zu lassen, das jetzt wunderbar klar und hell dalag, glitzernd von blendenden Flecken, als glitten Schwärme von Fischen mit einer inneren Lampe vorbei. Schon bald jedoch gaben die Wolken der Aufforderung des Lichtes nach und kamen mit sich selbst nieder, indem sie über den Gipfeln vergingen, und schmiegten sich einerseits in die Falten der Hänge, um sich zu verdichten und festzusetzen, weich wie Sahne, wo sie nach unten flossen, kompakter oben, wo sie etwas wie eine Schneewehe bildeten, und explodierten andererseits, während die Schneewehe auf dem

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