Die Insel Des Vorigen Tages
Kaiserlichen Frankreich, indem sie in Lothringen einfielen, Wallenstein war unterwegs, um den Savoyern zu Hilfe zu kommen, und im Juli nahm überraschend eine Handvoll Kaiserlicher, auf Kähnen übergesetzt, eine Schleuse in Mantua, wonach das ganze Heer in die Stadt einfiel und sie sechzig Stunden lang plünderte. Der Herzogspalast wurde von oben bis unten leergeräumt, und die Lutheraner der kaiserlichen Armee säuberten, nur um dem Papst recht zu geben, alle Kirchen der Stadt aus. Jawohl, genau jene Landsknechte, die Roberto gesehen hatte, denn sie waren anschließend nach Casale gekommen, um Spinola unter die Arme zu greifen.
Die französische Armee war noch im Norden beschäftigt, und niemand wußte, ob sie rechtzeitig eintreffen würde, bevor Casale fiel. Blieb also nur, auf Gott zu hoffen, sagte der Abbé, und: »Meine Herren, es ist politische Tugend, zu wissen, daß man die menschlichen Mittel anwenden muß, als ob es keine göttlichen, und die göttlichen, als ob es keine menschlichen gäbe.«
»Also hoffen wir auf die göttlichen«, rief ein Edelmann, allerdings in einem alles andere als betrübtem Ton, wobei er seinen Kelch derart heftig schwenkte, daß ein paar Tropfen auf den Rock des Abbé schwappten. »Monsieur, Ihr habt mich mit Wein befleckt!« rief dieser empört, wobei er erbleichte, was damals die Art war, wie man sich entrostete. »Nehmt’s einfach«, versetzte der andere, »als wär’s Euch während der Konsekration passiert. Wein dort, Wein hier.«
»Monsieur de Saint-Savin«, rief der Abbé, während er aufsprang und nach seinem Degen griff, »nicht zum ersten Male entehrt Ihr Euren Namen, indem Ihr den Unseres Himmlischen Herrn lästert! Ihr hättet besser daran getan, in Paris zu bleiben, um dort - Gott vergebe mir - die Damen zu entehren, wie es Brauch ist bei Euch Pyrrhonisten!«
»Wohlan«, erwiderte Saint-Savin offensichtlich betrunken. »Wir Pyrrhonisten gehen nachts den Damen ein Ständchen bringen, und die kecken Männer, die mal ‘n schönen Schuß landen wollen, schließen sich uns an. Aber wenn dann die Dame nicht am Fenster erscheint, wissen wir, daß sie nur darum nicht kommt, weil sie das Bett nicht verlassen will, das ihr der Hausgeistliche wärmt.«
Die anderen Offiziere sprangen auf, um den Abbé festzuhalten, der blankziehen wollte. Monsieur de Saint-Savin sei vom Wein berauscht, riefen sie, und man müsse einem solchen Manne schon etwas zugute halten, der sich in diesen Tagen so wacker geschlagen habe, und es sei doch ein wenig Respekt für die gefallenen Kameraden geboten.
»Sei’s drum«, lenkte der Abbé ein, während er hinausging. »Monsieur de Saint-Savin, ich fordre Euch auf, die Nacht mit einem De Profundis für unsere dahingegangenen Freunde zu beschließen, und ich werde auf Satisfaktion verzichten.«
Der Abbé ging hinaus, und Saint-Savin, der direkt neben Roberto saß, beugte sich über seine Schulter und sagte: »Die Hunde und die Wasservögel lärmen nicht soviel wie wir, wenn wir ein De Profundis jaulen. Wozu soviel Glockenläuten und so viele Messen, um die Toten zu wecken?« Er leerte seinen Kelch in einem Zuge und ermahnte Roberto mit erhobenem Zeigefinger, als wollte er ihn zu einem aufrechten Leben erziehen und in die höchsten Mysterien unserer heiligen Religion einweihen: »Monsieur, Ihr könnt stolz sein: Ihr seid heute um Haaresbreite einem schönen Tod entgangen, also verhaltet Euch auch in Zukunft mit gleicher Sorglosigkeit und im Wissen, daß die Seele mit dem Leibe stirbt. Und geht in den Tod, nachdem Ihr das Leben genossen habt. Wir sind allzumal Tiere unter Tieren, Kinder der Materie wie sie, nur wehrloser. Doch da wir im Unterschied zu den Tieren wissen, daß wir sterben müssen, wollen wir uns auf jenen Augenblick vorbereiten, indem wir das Leben genießen, das uns durch Zufall und vom Zufall gegeben ist. Die Weisheit lehrt uns, unsere Tage zum Trinken und zum liebenswürdigen Gespräch zu nutzen, wie sich’s für Edelleute geziemt, die niederen Seelen verachtend.
Kameraden, das Leben ist uns etwas schuldig! Wir verfaulen hier in Casale, und leider sind wir zu spät geboren, um die Zeiten des guten Königs Heinrich zu genießen, als man im Louvre noch Bastarden und Affen begegnen konnte, Irren und Hofnarren, Zwergen und Krüppeln, Musikern und Poeten, und der König hatte seine Freude daran. Heutzutage tönen Jesuiten, geil wie die Ziegenböcke, gegen jene, die Rabelais lesen und sich an den lateinischen Dichtern ergötzen, und
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