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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Gipfel zu einem einzigen Eislavastrom gerann, um pilzförmig in die Luft aufzusteigen, als köstliche Eruptionen in einem Schlaraffenland.
    Was er sah, konnte vielleicht genügen, seinen Schiffbruch zu rechtfertigen - nicht so sehr wegen des Vergnügens, das jenes rege Sichaufspielen der Natur ihm bereitete, als wegen des Lichts, das jenes Licht auf gewisse Worte warf, die ihm der Kanonikus von Digne gesagt hatte.
    Bis zu diesem Moment hatte er sich nämlich oft gefragt, ob er nicht träumte. Was ihm widerfuhr, pflegte den Menschen gewöhnlich nicht zu widerfahren, allenfalls konnte es ihn an die Romane seiner Kindheit erinnern: Wie Traumgeschöpfe waren sowohl das Schiff als auch die Geschöpfe, die er auf ihm vorgefunden hatte. Vom selben Stoff, aus dem die Träume sind, erschienen ihm auch die Schatten, die ihn seit drei Tagen umgaben, und dabei machte er sich kühlen Kopfes bewußt, daß sogar die Farben, die er im Pflanzengarten und im Vogelhaus bewundert hatte, nur seinen erstaunten Augen so leuchtend erschienen waren, in Wirklichkeit enthüllten sie sich durch jene Patina wie auf alten Lauten, die alle Gegenstände im Schiff überzog, in einem Licht, das ebenso auch alles andere beschien, auch Balken und Dauben aus abgelagertem Holz, imprägniert mit Ölen, Lacken und Teer... Hätte daher nicht auch jenes große Theater himmlischer Vorspiegelungen, das er jetzt am Horizont zu sehen glaubte, bloß ein Traum sein können?
    Nein, sagte sich Roberto, der Schmerz, den jenes Licht meinen Augen bereitet, sagt mir, daß ich nicht träume, sondern wirklich sehe. Meine Pupillen schmerzen wegen des Sturms von Atomen, die mich von jener Küste her wie von einem großen Kriegsschiff aus bombardieren, und nichts anderes ist Sehen als ebendiese Begegnung der Augen mit dem Pulverstaub der Materie, der auf sie trifft. Gewiß ist es nicht so, hatte ihm der Kanonikus von Digne gesagt, daß dir die Dinge von weitem, wie Epikur es wollte, vollkommene Abbilder ihrer selbst schickten, die sowohl ihre äußere Form als auch ihre verborgene Natur enthüllten. Du empfängst nur Zeichen, Indizien, um aus ihnen jene Vermutung zu ziehen, die wir Sehen nennen. Aber gerade die Tatsache, daß Roberto eben erst durch diverse Metaphern benannt hatte, was er am Himmel zu sehen glaubte, indem er in Form von Worten erschuf, was ihm das noch formlose Etwas eingab, bestätigte ihm, daß er tatsächlich sah . Und unter den vielen Gewißheiten, deren Abwesenheit wir beklagen, ist eine einzige anwesend, nämlich die Tatsache, daß alle Dinge uns so erscheinen, wie sie uns erscheinen, und daß es ganz unmöglich nicht wahr sein kann, daß sie uns eben so erscheinen.
    Darum hatte Roberto, weil er sah und sicher war, daß er sah, die einzige Sicherheit, auf die seine Sinne und seine Vernunft sich verlassen konnten, nämlich die Gewißheit, etwas zu sehen: Und dieses Etwas war die einzige Form des Seins, von der er sprechen konnte, da ja das Sein nichts anderes war als das große Theater des Sichtbaren in der Muschel des Raumes was eine Menge über jenes bizarre Jahrhundert besagt.
    Er war lebendig und wach, und dort drüben, ob Insel oder Festland, war etwas. Was es war, wußte er nicht: Wie die Farben sowohl von dem Gegenstand abhängen, dem sie anhaften, als auch vom Licht, das sich in ihnen bricht, und vom Auge, das sie fixiert, so erschien ihm die ferne Küste wirklich in ihrer zufälligen und vorübergehenden Vermählung des Lichtes, der Winde und der Wolken mit seinen erregten und gereizten Augen. Morgen schon, vielleicht schon in wenigen Stunden, würde jene Küste anders aussehen.
    Was er sah, war nicht nur die Botschaft, die ihm der Himmel schickte, sondern das Resultat einer engen Freundschaft zwischen Himmel und Erde und Beobachterposition (und Stunde und Jahreszeit und Beobachtungswinkel). Kein Zweifel, wäre das Schiff auf einer anderen Traverse der Windrose verankert gewesen, das Schauspiel wäre ein anderes gewesen, die Sonne, die Morgenröte, das Meer und das Land wären eine andere Sonne, eine andere Morgenröte, ein Meer und ein Land von ganz ähnlicher Art, aber anderer Form gewesen. Jene unendliche Zahl von Welten, von der Saint-Savin gesprochen hatte, war nicht nur jenseits der Sternbilder zu suchen, sondern auch im innersten Zentrum jener Blase des Raums, in welcher Roberto, als reines Auge, nun Ursprung unendlicher Parallaxen war.
    Wir werden es ihm nachsehen, wenn er inmitten so vieler Widrigkeiten seine ebenso metaphysischen wie

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