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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sie hätten uns alle gern tugendsam und allzeit bereit, die Hugenotten niederzumachen. Herrgott im Himmel, Krieg ist was Schönes, aber ich will mich für mein Vergnügen schlagen und nicht, weil mein Gegner am Freitag Fleisch ißt. Die Helden waren weiser als wir. Auch sie hatten ihre drei Gottheiten, aber ihre Mutter Kybele erhob wenigstens nicht den Anspruch, die beiden anderen geboren zu haben und dabei auch noch Jungfrau geblieben zu sein.«
    »Monsieur!« protestierte Roberto, während die anderen lachten.
    »Monsieur«, erwiderte Saint-Savin, »die erste Qualität eines Mannes von Ehre ist die Verachtung einer Religion, die will, daß wir Furcht vor der alternatürlichsten Sache der Welt haben, nämlich vor dem Tod, und Haß auf das einzig Schöne, was uns das Schicksal gegeben hat, nämlich das Leben, und Hoffnung auf einen Himmel, in dem in ewiger Seligkeit nur die Planeten wohnen, die sich weder eines Lohnes noch einer Verdammnis erfreuen, sondern nur ihres ewigen Kreisens in den Armen der Leere. Seid stark wie die Weisen im alten Griechenland und seht dem Tod mit festem und furchtlosem Blick ins Auge. Jesus hat zuviel geschwitzt, als er ihn erwartete. Was hatte er schon zu befürchten, wo er doch ohnehin auferstehen sollte?«
    »Das reicht, Monsieur de Saint-Savin«, sagte ein Offizier fast gebieterisch und ergriff seinen Arm.
    »Erschreckt unseren jungen Freund nicht so, er weiß noch nicht, daß gottloses Reden heutzutage in Paris die exquisiteste Form des bon ton ist, und er könnte Euch ernst nehmen. Geht auch Ihr jetzt schlafen, Monsieur de La Grive. Ihr wißt, daß der liebe Gott gnädig genug ist, auch Monsieur de Saint-Savin zu verzeihen. Wie sagte doch jener Theologe: Stark ist ein König, der alles zerstört, stärker ist eine Frau, die alles erhält, noch stärker jedoch ist der Wein, der die Vernunft ersäuft.«
    »Ihr zitiert nur die Hälfte«, lallte Saint-Savin, während er von zwei seiner Kameraden fast mit Gewalt hinausgeschleppt wurde. »Das Diktum wird der ZUNGE in der Fabel zugeschrieben, und die hatte hinzugefügt: Am stärksten jedoch ist die Wahrheit, und ich bin es, die sie sagt. Und meine Zunge, auch wenn ich sie jetzt nur noch mit Mühe bewegen kann, wird nicht schweigen. Der Weise muß die Lüge nicht nur mit Degenstößen, sondern auch mit Zungenhieben bekämpfen. Freunde, wie könnt ihr einen Gott gnädig nennen, der unser ewiges Unglück will, bloß um seinen sporadischen Zorn zu besänftigen?
    Wir sollen unserem Nächsten vergeben, und er nicht? Und ein so grausames Wesen sollen wir lieben?
    Der Abbé hat mich einen Pyrrhonisten genannt, aber wir Pyrrhonisten, wenn er’s denn so will, wir kümmern uns immerhin um die Opfer dieses Betrugs. Einmal haben wir zu dritt Rosenkränze mit obszönen Medaillen unter die Damen verteilt. Wenn Ihr wüßtet, wie fromm die von jenem Tage an wurden!«
    Er wankte hinaus, begleitet vom Gelächter der ganzen Runde, und der Offizier kommentierte den Abgang: »Wenn nicht Gott, so wollen doch wenigstens wir seiner Zunge vergeben, da er einen so guten Degen führt.« Dann sagte er zu Roberto: »Seht zu, daß Ihr ihn als Freund behaltet, widersprecht ihm nicht mehr als nötig. Er hat in Paris mehr Franzosen wegen theologischer Fragen niedergestreckt als meine Kompanie in diesen Tagen Spanier. Ich hätte ihn ungern während der Messe neben mir, aber ich würde mich glücklich schätzen, ihn auf dem Schlachtfeld an meiner Seite zu wissen.«
    So zu ersten Zweifeln erzogen, sollte Roberto am nächsten Tag weitere kennenlernen. Er war in jenen Flügel des Kastells zurückgekehrt, in dem er die beiden ersten Nächte mit seinen Monferrinern verbracht hatte, denn er wollte seinen Beutelsack holen, aber er hatte Mühe, sich zwischen den diversen Innenhöfen und Korridoren zurechtzufinden. Er schritt gerade durch einen von ihnen und merkte, daß er sich geirrt hatte, als er am Ende einen trüben Spiegel sah, in dem er sich selbst erblickte. Doch als er näher hinging, entdeckte er, daß jenes sein Spiegelbild zwar seine Gesichtszüge hatte, aber grellbunte Kleider nach spanischer Sitte trug und die Haare in einem Haarnetz hatte. Und nicht nur das, auf einmal war jenes Spiegelbild nicht mehr vor ihm, sondern verschwand zur Seite.
    Es hatte sich also gar nicht um einen Spiegel gehandelt. Tatsächlich stellte er fest, daß es ein Fenster mit staubigen Scheiben war, das auf ein äußeres Glacis hinausging, von dem aus man über eine Treppe in den Hof gelangte.

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