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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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in die Geheimnisse der Staatsverwaltung einarbeitet, beschäftigt sich seit einiger Zeit mit einem Problem, das Kardinal Richelieu sehr am Herzen liegt und folglich auch mir. Ihr wißt vielleicht, daß die französische Flotte, bevor der Kardinal das Steuerruder dieses großen Schiffes übernahm, dessen Kapitän Ludwig XIII. ist, es in keiner Weise mit der unserer Feinde aufnehmen konnte, weder im Krieg noch im Frieden. Heute dagegen können wir stolz sein auf unsere Werften, auf die Flotte im Osten wie auf die im Westen, und Ihr werdet Euch erinnern, mit welchem Erfolg vor gerade erst sechs Monaten der Marquis de Brézé vierundvierzig Galeonen, vierzehn Galeeren und ich weiß nicht mehr wie viele andere Schiffe vor Barcelona auffahren lassen konnte. Wir haben unsere Eroberungen in Neufrankreich festigen können, wir haben uns die Herrschaft über Martinique und Guadeloupe gesichert und über viele jener ›Inseln von Peru‹, wie sie der Kardinal gerne nennt. Wir haben begonnen, Handelskompanien zu gründen, wenn auch noch nicht mit vollem Erfolg, denn leider gibt es in den Vereinigten Provinzen, in England, Portugal und Spanien keine Adelsfamilie, die nicht wenigstens einen der Ihren unter denen hat, die ihr Glück auf See versuchen, nicht jedoch in Frankreich. Und so kommt es, daß wir zwar vielleicht genügend über die Neue Welt wissen, aber nur wenig über die Allerneueste. Colbert, zeigt unserem Freund, wie leer an Land die andere Hälfte dieses Globus sich noch darstellt.«
    Der junge Mann drehte den Globus, und Mazarin lächelte betrübt: »Leider ist dieser enorme Ozean nicht aufgrund einer stiefmütterlichen Natur so leer, sondern weil wir zu wenig von ihrer Großzügigkeit wissen. Doch nachdem eine westliche Route zu den Molukken entdeckt worden ist, geht es nun genau um dieses riesige unerforschte Gebiet zwischen der Westküste des amerikanischen Kontinents und den letzten östlichen Vorsprüngen Asiens. Ich spreche von dem Ozean, den die Portugiesen den Stillen genannt haben wollten, in welchem sicherlich jene Terra Incognita Australis liegt, von der wir nur einige wenige Inseln und einige vage Küsten kennen, aber genug, um zu wissen, daß sie märchenhafte Reichtümer beherbergen muß. Und in jenen Gewässern treiben sich jetzt und schon seit langem zu viele Abenteurer herum, die nicht unsere Sprache sprechen. Unser Freund Colbert liebäugelt mit der Idee einer französischen Präsenz in jenen Meeren, die wir nicht bloß für eine jugendliche Schrulle halten.
    Zumal wir annehmen, daß der erste, der seinen Fuß auf eine Terra Australis gesetzt hat, ein Franzose war, nämlich der Seigneur de Gonneville, und das sechzehn Jahre vor Magellans Unternehmung. Leider hat jener wackere Edel- oder Kirchenmann es versäumt, auf den Karten den Ort festzuhalten, den er betreten hat. Können wir annehmen, daß ein braver Franzose so nachlässig war? Nein, gewiß nicht, es lag daran, daß man in jener fernen Zeit nicht wußte, wie ein bestimmtes Problem zu lösen war. Aber dieses Problem - und Ihr werdet Euch wundern, wenn Ihr hört, welches - ist auch für uns noch ein Geheimnis geblieben.«
    Er machte eine Pause, und Roberto begriff, daß sie, da Colbert ebenso wie der Kardinal wenn nicht die Lösung des Rätsels, so doch zumindest seinen Namen kannten, allein für ihn bestimmt war. Es schien ihm gut, den Part des atemlosen Zuhörers zu spielen, und so fragte er: »Und welches ist das Geheimnis, bitte sehr?- Mazarin sah Colbert bedeutungsvoll an und sagte: »Es ist das Geheimnis der Längengrade.«
    Colbert nickte mit ernster Miene.
    »Für die Lösung dieses Problems des Punto Fijo oder Fixen Punktes«, fuhr der Kardinal fort, »hat bereits Philipp II. von Spanien vor siebzig Jahren ein Vermögen geboten, und Philipp III. hat sechstausend Dukaten als Dauerrente und zweitausend auf Lebenszeit versprochen, und die Generalstaaten der Niederlande boten dreißigtausend Gulden. Auch wir haben nicht mit Geldern für tüchtige Astronomen gespart ... Apropos, Colbert, dieser Doktor Morin, den lassen wir jetzt schon acht Jahre lang warten ...«
    »Eminenz, Ihr selbst wart doch überzeugt, daß diese Sache mit der Mondparallaxe eine Chimäre sei ...«
    »Ja, aber um seine höchst zweifelhafte Hypothese aufzustellen, hat der Mann sehr gründlich alle anderen studiert und kritisiert. Lassen wir ihn an diesem neuen Projekt teilhaben, er könnte dem Signor di San Patrizio vieles erklären. Man biete ihm eine Rente an, es gibt

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