Die Insel Des Vorigen Tages
des letzten Raumes.
Dort, in einem Bett liegend, an einen Berg von Kissen gelehnt, sah und erkannte er den Schatten dessen, der von ganz Frankreich gefürchtet und von nur sehr wenigen geliebt wurde. Der große Kardinal war umgeben von schwarzgewandeten Ärzten, die sich mehr für ihre Debatte als für ihn zu interessieren schienen, ein Kleriker wischte ihm die Lippen ab, auf denen fiebriger Hustenauswurf einen rötlichen Schaum bildete, unter der Decke erriet man das mühsame Atmen eines verbrauchten Körpers, aus einem Hemdsärmel ragte eine Hand, die ein Kruzifix umklammert hielt. Plötzlich brach der Kleriker in ein Schluchzen aus. Richelieu drehte mühsam den Kopf, versuchte ein Lächeln und murmelte: »Ihr habt wohl geglaubt, ich sei unsterblich?«
Während Roberto sich noch fragte, wer in aller Welt ihn ans Bett eines Sterbenden gerufen haben mochte, hörte er plötzlich hinter sich ein Getümmel. Einige murmelten den Namen des Pfarrers von Saint-Eustache, und während alle Spalier bildeten, kam ein Priester mit seinem Gefolge herein, um die Letzte Ölung vorzunehmen.
Roberto spürte eine Hand auf seinem Rücken, und es war Hauptmann de Bar. »Gehen wir«, sagte er,
»der Kardinal erwartet Euch.« Ohne zu begreifen, folgte ihm Roberto durch einen Korridor. Der Hauptmann führte ihn in einen Saal, bedeutete ihm erneut zu warten und zog sich zurück.
Es war ein großer Saal mit einem Globus in der Mitte und einer Uhr auf einem zierlichen Möbelstück an einer Seite, vor einem roten Vorhang. Links des Vorhangs, unter einem überlebensgroßen Ganzfigurporträt von Richelieu, entdeckte Roberto schließlich einen Mann in Kardinalsrobe, der an einem Schreibpult stand und ihm den Rücken zukehrte. Nach einer Welle drehte der Purpurgewandete den Kopf ein wenig in seine Richtung und bedeutete ihm, näher zu treten, doch als Roberto auf ihn zuging, beugte er sich über die Schreibfläche und hielt die linke Hand schätzend vor das Papier, obwohl Roberto aus der respektvollen Entfernung, in der er verharrte, nichts hätte lesen können.
Dann drehte der Robenträger sich mit großem Faltenwurf um und stand ein paar Sekunden lang aufgerichtet, fast in der Pose des großen Porträts über ihm, die Rechte auf das Schreibpult gelegt und die Linke in Brusthöhe, die Handfläche leicht affektiert nach oben gedreht. Danach setzte er sich auf einen Schemel neben der Uhr, strich sich kokett über Schnurr- und Spitzbart und sagte: »Monsieur de La Grive?« Monsieur de La Grive war bis zu diesem Augenblick überzeugt gewesen, in einem Alptraum jenen selben Kardinal vor sich zu sehen, der wenige Schritte nebenan im Sterben lag, doch nun sah er ihn verjüngt, mit weniger eingefallenen Zügen, als hätte jemand auf dem aristokratisch bleichen Antlitz des Porträts den Teint aufgefrischt und die Lippen mit markanter geschwungenen Linien nachgezeichnet.
Dann weckte die Stimme mit dem südländischen Akzent in ihm die Erinnerung an jenen Hauptmann, der zwölf Jahre zuvor in Casale mitten zwischen den feindlichen Schlachtreihen galoppiert war.
Roberto stand vor Kardinal Mazarin und begriff, daß der Mann dabei war, im Zuge der Agonie seines Förderers und Beschützers dessen Funktionen zu übernehmen, weshalb Hauptmann de Bar schon einfach »der Kardinal« gesagt hatte, als ob es den anderen gar nicht mehr gäbe.
Er schickte sich an, die erste Frage zu beantworten, mußte jedoch sehr bald bemerken, daß der Kardinal nur dem Anschein nach Fragen stellte, in Wahrheit aber Feststellungen traf und jedenfalls von der Annahme ausging, daß sein Gegenüber ihm nur zustimmen konnte.
»Roberto de La Grive«, bestätigte der Kardinal, »aus dem Geschlecht der Pozzo di San Patrizio. Wir kennen das Schloß, wie wir das Monferrat kennen. So fruchtbar, daß es Frankreich sein könnte. Euer Vater hat sich in den Tagen von Casale sehr ehrenhaft geschlagen und ist uns gegenüber loyaler gewesen als Eure anderen Landsleute.« Er sagte uns , als ob er schon damals ein Mann des Königs von Frankreich gewesen wäre. »Auch Ihr habt Euch bei jener Gelegenheit tapfer geschlagen, ist uns berichtet worden. Glaubt Ihr nicht, daß es uns daher um so mehr betrüben muß, wenn Ihr als Gast dieses Landes die Pflichten des Gastes nicht achtet? Wußtet Ihr nicht, daß in diesem Land die Gesetze auf die Gäste ebenso wie auf die Untertanen angewandt werden? Natürlich, natürlich vergessen wir nicht, daß ein Edelmann stets ein Edelmann bleibt, welches Delikt er
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