Die Insel: (Inseltrilogie #1) (German Edition)
unter einer Straßenlaterne neben einem Haus. Mein Herz hämmert in meiner Brust und mein Haar klebt von Schweiß. Wenn ich jetzt einen Wunsch frei hätte, wäre er für Stunden voller Erholung, einfach hier zu sitzen und die Welt an mir vorbeiziehen zu lassen – aber ich weiß, dass ich das nicht kann. Walt ist bei einer Versammlung – na um so besser. Er kann all die Leute dort bitten, ihm zu helfen. Mir zu helfen. Ich muss Colin, Andy und Pete retten. Wenn sie überhaupt noch am Leben sind.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt mein Retter mit Walt im Schlepptau zurück. Seine Augen werden riesig als er mich sieht. „Leia, was ist passiert? Bist du allein? Wo sind deine Freunde?“
Ich fange an haltlos zu weinen und lasse mich gegen Walts Schulter fallen als er sich neben mich setzt. „Er ist tot“, schniefe ich.
„Wer ist tot?“
„Henry. Sie... Saul hat ihn getötet.“
Walt hört auf zu atmen. Gespannt schaue ich zu ihm auf und sehe wie er mit den Zähnen knirscht. „Jetzt reicht‘s. Wir nehmen es selbst in die Hand“, entscheidet er. „Ist deine Freundin noch dort? Ist Mara in Gefahr?“
Ich schüttle den Kopf. „Mara ist schon am Nachmittag gegangen. Saul hatte ihre Ehe mit seinem Bruder arrangiert, also ist sie davongelaufen. Aber mein Bruder ist noch dort. Und Andy und Pete – unsere Freunde. Sie haben mir geholfen. Wir wollten Saul mit seinen Lügen konfrontieren, aber es ist alles außer Kontrolle geraten.“
„Glaubst du, er wird...“ Die darauffolgende Stille beendete den Satz dennoch.
„Ich fürchte ja“, flüstere ich.
Er ruft irgendetwas – es klingt irgendwie schroff, also nehme ich an, dass er in seiner Mundart flucht – und steht auf. „Ich muss ein paar Helfer zusammentrommeln. Tony wird sicherlich auch mitkommen wollen.“
„Warte“, sage ich. „Wenn ihr das Herrenhaus angreifen und Saul gefangen nehmen wollt, schlage ich vor, dass ihr in Newexter um Hilfe bittet. Mara hat meiner Mutter schon davon erzählt, was auf dem Landgut los ist. Die... Ich meine, unsere Eltern wollten kommen und uns helfen, denke ich. Und sie kennen sich auf dem Landgut aus.“
Er nickt kurz. „Wir können alle Hilfe brauchen, die wir kriegen können. Wie kommen wir in euer Dorf ohne gesehen zu werden?“
Ich denke kurz über die Frage nach. „Wir könnten ein Schiff nehmen. Wenn man um die Insel segelt, kann man am östlichen Strand an Land gehen und von dort aus ist Newexter ganz einfach zu erreichen. Die Eltern gehen an diesem Strand oft fischen, deswegen ist dort eine Straße.“
„Ein Schiff? Schon erledigt.“
„Gehen wir jetzt gleich?“
Er lächelt beschwichtigend. „Ja, wir gehen und zwar sobald wie möglich. Aber wir müssen erst einem Kapitän Bescheid geben, dass er ein Schiff fertig macht, dass viele Leute fassen kann. Ich habe sogar schon eine Idee, welches Schiff wir nehmen.“
„Du meinst, die Entdecker ?“, fragt der ältere Herr. Er steht noch immer neben uns.
Walt nickt und nimmt meine Hand, nimmt mich mit auf den Weg zu der Rettung, die er mir versprochen hat. Auf unserem Weg erzähle ich ihm Kleinigkeiten über die Situation auf unserer Seite der Mauer. Während ich rede, kommen wir an endlosen Straßen vorbei, die mit Häusern gesäumt sind, die sehr viel solider aussehen als das, was wir bauen. Überall gibt es Straßenlichter und fast alle Straßen sind gepflastert. Und so geht es immer weiter. Hoffnungshafen ist größer als Newexter... viel größer.
„Wie viele Menschen leben denn hier?“, frage ich irgend wann schüchtern.
„Ungefähr eintausend“, antwortet Walt.
„Oh.“ Mit einem Mal fühle ich mich wie ein Landei, wenn ich so durch diese Stadt laufe. Ich komme aus einem Dorf mit circa zweihundert Einwohnern, die Gruppe auf dem Landgut besteht aus nur einundfünfzig Jugendlichen. Das ist die größte Gruppe, mit der ich mich in den letzten sechs Jahren umgeben habe. Alles hier ist so überwältigend.
Still trotte ich neben dem Jungen her, den ich noch vor zwei Tagen als Narr bezeichnet habe, der sich nun als kultivierter als ich herausstellt.
„Wie kommst du hinterher?“ Walt unterbricht meinen Gedankenstrom. „Ich gehe nicht zu schnell, oder?“
Ich schüttle den Kopf. „Kann mir nicht schnell genug gehen. Ich denke nur nach“, gebe ich leise zurück.
Walt legt einen Arm um mich. „Worüber?“
„Darüber, wie anders hier drüben alles ist. Wie es möglich ist, dass ihr so viele seit und warum wir immer getrennt von einander
Weitere Kostenlose Bücher