Die Insel - Roman
Schlucht entfernt fand ich Connies Badetuchweste, die zusammengeknüllt im Schatten eines Felsblocks lag. Ich nahm den Griff des Rasiermessers zwischen die Zähne, bückte mich und hob die Weste auf. Dann untersuchte ich sie im Mondlicht so genau, wie ich konnte.
An der Weste schien kein Blut zu sein, was ich als ein weiteres gutes Zeichen wertete.
Weil ich die Weste nicht zurücklassen, aber auch meine Hände frei haben wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als sie anzuziehen.
Als ich das tat, fühlte ich mich Connie seltsam nahe. Die Weste kam mir vor, als wäre sie ein lebendiger Teil ihres Körpers gewesen, der mich jetzt auf eine intensive Weise mit ihr verband. (Auf einmal begriff ich besser, weshalb Kimberly ständig das Hawaiihemd ihres getöteten Ehemanns getragen hatte.)
Während ich in die Weste schlüpfte, sah ich, dass unter dem Felsen noch etwas lag. Es war ein Fetzen Stoff, der ganz dunkel von getrocknetem Blut war. Das beunruhigte mich nicht sonderlich, denn er war vermutlich der Verband von Connies Wunde gewesen, den sie zusammen mit der Weste verloren hatte.
Ich ließ den Fetzen fallen, nahm das Rasiermesser aus dem Mund und setzte meine Suche fort.
Ich muss wie ein Verrückter ausgesehen haben, als ich nur mit einer Socke und einer Handtuchweste bekleidet durch die Nacht schlich, ein aufgeklapptes Rasiermesser in der Hand. Ein wahnsinnig gewordener Robinson Crusoe. Ein schiffbrüchiger Killerbarbier Sweeney Todd.
Aber es war niemand da, der mich hätte sehen können, als ich, ständig auf der Hut vor etwaigen Angreifern, mit meiner Besichtigung des Schlachtfelds fortfuhr.
Die Axt und das Seil waren verschwunden, und ich konnte auch keinen unserer selbst gebastelten Speere und Tomahawks entdecken.
Auch das Schweizer Messer nicht, obwohl ich nach dem besonders gründlich suchte. Ich schritt nicht nur die ganze Gegend in einer Art Suchgitter ab, ich kroch auch auf allen vieren über jeden Quadratzentimeter der Stelle, an der ich es zum letzten Mal in der Hand gehabt hatte.
Das Messer war nirgends zu finden. Bis auf Connies Weste und den Fetzen T-Shirt war nichts von uns übrig geblieben. Irgendjemand musste alles beseitigt haben (inklusive der drei Frauen).
Zum Glück konnte ich nirgendwo am Boden Blutspuren entdecken, was meiner Hoffnung, dass sie noch am Leben waren, weitere Nahrung gab. Wenn Wesley seine Macheten zum Einsatz gebracht hätte, wäre bestimmt
eine Menge Blut geflossen, das mir bestimmt nicht entgangen wäre, auch wenn inzwischen mehrere Tage vergangen waren und ich meine Suche bei Mondlicht durchführte.
Natürlich hätte jemand hinterher die Stelle saubermachen können, aber dann stellte ich mir Thelma vor, wie sie mit Eimer und Bürste die Felsen schrubbte.
Lächerlich.
In einer anderen Landschaft hätte der Wind vielleicht Laub oder Sand über die Blutspuren wehen können, aber hier, wo der Untergrund fast überall aus nacktem Fels bestand, war so etwas nicht möglich.
Wenn hier viel Blut vergossen worden wäre, hätte ich zumindest einen Teil davon entdecken müssen. Hier auf unserem Schlachtfeld war jedenfalls niemand zerstückelt, aufgeschlitzt oder erstochen worden.
Bevor ich mich auf den Rückweg machte, legte ich mich am Rand der Schlucht flach auf den Boden und spähte hinab.
Bis auf Matt war dort nichts.
Er lag noch immer auf dem Rücken, und starrte zu mir herauf.
Nein, er starrte natürlich nicht, denn er hatte keine Augen mehr. Ich hatte mir sein Gesicht damals, als ich ihn umgedreht hatte, ziemlich genau angesehen. Die Nase war platt, die Wangenknochen und der Kiefer eingeschlagen gewesen und da, wo vorher die Augen gewesen waren, hatten hässliche, kleine Krater geklafft.
Trotzdem hatte ich, als ich zwei Nächte später zu ihm hinabspähte, das Gefühl , als würde er mich anstarren, und das jagte mir einen eiskalten Schauder den Rücken hinunter.
Und wenn er jetzt plötzlich aufsteht und aus der Schlucht klettert?
Völliger Blödsinn, ich weiß, aber manchmal kommen mir einfach solche Gedanken.
Von scheußlicher Angst ergriffen robbte ich vom Rand der Schlucht zurück.
Einmal noch ließ ich den Blick über den Schauplatz unseres Waterloos schweifen, dann trat ich den Rückweg an.
Eine ganze Weile ging mir Matt nicht mehr aus dem Kopf. Als ich dort unten auf ihm gelegen hatte, waren wir fast so etwas wie Freunde gewesen, aber jetzt hatte ich den Eindruck, dass er mich hasste. Vielleicht weil ich ihn im Stich gelassen hatte?
Und wieder sah
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