Die Insel - Roman
plätscherndes Geräusch. Im Mondlicht konnte ich ihre blasse Form nur undeutlich erkennen. Langsam brachte ich sie zu der schrägen Felsplatte, wo ich sie aus dem Wasser zog. Sie machte dabei platschende Geräusche wie jemand, der aus der Badewanne steigt.
Als ich sie weit genug herausgezogen hatte, ließ ich ihre Arme los.
Der Mond schien auf uns herab wie ein Scheinwerfer, den man gedimmt hatte, um eine unheimliche Lichtstimmung zu erzeugen. Trotzdem war er hell genug, um mich einiges erkennen zu lassen.
Die Tote war offenbar geschlagen worden, denn an Rücken und Gesäß entdeckte ich große, graue Flecken, die mir wie Blutergüsse vorkamen. Darüber sah ich kreuz und quer verlaufende Striemen, die aussahen, als hätte man sie zusätzlich noch ausgepeitscht.
Außerdem entdeckte ich an ihrem Rücken viele Stichwunden, die mehrere Zentimeter breit und an den Rändern aufgequollen waren. (Es war durchaus möglich, dass sie von den Messern stammten, die ich an Wesleys Gürtel gesehen hatte.) Es war nicht leicht, sie alle zu finden, denn manche verbargen sich unter den Striemen der Peitsche, und so kroch ich auf Knien an der Leiche entlang, suchte nach weiteren Wunden und zählte sie.
Es waren achtzehn am Rücken der Leiche.
Keine an ihrem Gesäß.
Und doch machte ich dort eine andere wichtige Entdeckung. Es war etwas, das mir vielleicht viel früher aufgefallen wäre, hätte ich mich nicht so sehr auf die Wunden konzentriert.
Wenn man einmal von den Blutergüssen und den Striemen absah, hatte das Gesäß nämlich dieselbe blassgraue Farbe wie der Rücken und die Oberschenkel.
Billies Haut aber, das wusste ich, war tiefbraun gewesen - aber nur da, wo sie keinen Bikini angehabt hatte. Ihre Brust beispielsweise hatte, als ich sie einmal kurz zu Gesicht bekommen hatte, eine milchweiße Farbe gehabt. Wäre die Tote Billie gewesen, hätten sich an ihrem Po deutlich die hellen Umrisse eines Bikinihöschens abheben müssen.
Einen Augenblick lang war ich total erleichtert, weil es nicht Billie war, die da vor mir lag.
Aber dann kamen mir Zweifel.
Zwar hätte, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, niemals ihre ganze Bräune verblassen können, aber möglicherweise hatte sie genügend Zeit gehabt, um auch an den Stellen nachzubräunen, die vorher vom Bikinihöschen bedeckt gewesen waren, vorausgesetzt, sie hatte die ganze Zeit nackt in der Sonne verbracht.
Und was war, wenn sie schon ein paar Tage im Wasser gelegen hatte? Veränderte das am Ende die Farbe der Haut?
Allzu lange konnte sie freilich nicht in der Lagune gewesen sein.
Instinktiv hatte ich zwar von Anfang an wahrgenommen, dass die Leiche sich noch in einem ziemlich guten Zustand befunden hatte, nur war mir das bisher noch nicht bis ins Bewusstsein vorgedrungen. Ich war lediglich
erleichtert darüber gewesen, dass die Verwesung noch nicht so weit fortgeschritten war und sie sich weder glitschig noch steif oder aufgedunsen angefühlt hatte.
(Im Vergleich zu Matt wirkte sie wie Dornröschen.)
Jetzt aber fiel mir auf, dass sie sich außerordentlich frisch anfühlte.
Ich ergriff eine ihrer Hände und betrachtete im Licht des Mondes die Fingerkuppen. Sie waren zwar verschrumpelt, aber auch nicht viel mehr als meine eigenen.
Obwohl ich kein Gerichtsmediziner bin, war mir irgendwie klar, dass die Leiche kaum länger als eine Stunde in der Lagune gelegen haben konnte.
Vermutlich war sie noch lebendig, als ich oberhalb des Wasserfalls nach unserem Schlachtfeld gesucht hatte.
Hätte ich mich dort oben nicht zweimal verirrt, hätte ich mich nicht so lange dort umgesehen, dann …
Dann was?
Dann wäre ich vielleicht zur Lagune zurückgekehrt, als sie gerade ermordet, ausgeweidet, mit Steinen gefüllt und versenkt wurde.
Vielleicht hätte ich sie noch retten können.
Oder vielleicht hätte man auch mich ermordet, ausgeweidet und so weiter …
Leben und Tod hingen manchmal nur von der Frage ab, wann man sich wo aufhielt.
Nur sagt einem keiner, wo man wann sein muss, um am Leben zu bleiben.
Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich möglicherweise nur Minuten zu spät gekommen war, um einer Frau - vielleicht sogar Billie - das Leben zu retten.
Ich drehte die Tote um.
Und sah in ihren leeren, ausgenommenen Bauch.
Schaute ein bisschen länger auf ihre Brüste, die von Blutergüssen und Kratzern übersät waren, aber keine Stichwunden aufwiesen. Und dann zwang ich mich, ihr ins Gesicht zu sehen.
Im fleckigen Licht des Mondes war es voller
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