Die Insel - Roman
auf den Weg durch den Dschungel. Ich bewegte mich langsam und vorsichtig und blieb immer wieder stehen, um zu horchen. Dabei hielt ich mich vom Rand des Dschungels fern und blickte nur hin und wieder aus dem Schutz eines Gebüsches hinaus auf die Bucht.
Ich sah niemanden, weder am Boot noch am Steg noch am Haus.
Auch hörte ich weder Stimmen noch irgendwelche anderen Geräusche, die auf die Anwesenheit von Menschen hätten schließen lassen. Allerdings hätten solche Geräusche auch ziemlich laut sein müssen, um durch das Gekreisch der Vögel und der anderen Dschungeltiere an mein Ohr zu dringen. (Manche ihrer Schreie klangen fast wie die von Menschen, kamen aber dennoch - so dachte ich jedenfalls - von irgendeinem Urwaldvogel.)
Zwischen dem Dschungel und dem Haus befand sich eine weite Rasenfläche, die schon vor langem hätte gemäht werden müssen. Inmitten der wild wuchernden Wiese stand ein roter Gartentraktor mit Mähwerk. Es sah aus, als hätte jemand begonnen, damit den Rasen zu mähen und mittendrin die Lust verloren.
Hinter dem Traktor entdecke ich neben dem Haupthaus zwei kleine Nebengebäude aus roten Ziegeln. An einem
von ihnen stand ein großes Tor offen, das breit genug war, um mit dem Traktor hineinfahren zu können.
In einem solchen Geräteschuppen bewahrte man normalerweise auch Werkzeug auf. Schaufeln, Hacken, Heckenscheren, Hämmer, Sägen...
Und Äxte.
Mein Herz fing an, schneller zu schlagen.
Hier hatte sich Wesley möglicherweise die Axt beschafft, und vielleicht auch das Seil. Das Seil, an dem er Keith aufgehängt hatte und aus dem wir später die Schlingen für unsere Tomahawks geknüpft hatten.
Weil er Keith bereits in unserer ersten Inselnacht in den Baum gezogen hatte, musste er kurz nach der Explosion unserer Jacht hierher gekommen sein. Ob er wohl da bereits Matt und die Frau ermordet hatte?
Nein. Unmöglich. Keine der beiden Leichen war so lange tot gewesen. Ich vermute, dass Matt vermutlich unsere ganze erste Inselwoche über noch am Leben war und vielleicht erst dann umgebracht wurde, als Wesley und Thelma für ihren Hinterhalt eine männliche Leiche brauchten. Und die Frau konnte erst kurz, bevor ich ihre Leiche in der Lagune fand, ums Leben gekommen sein.
Wahrscheinlich hatte Wesley die beiden in der Zwischenzeit gefangen gehalten.
Aber wo?
In einem der Nebengebäude?
An Bord des Kabinenkreuzers?
Oder im Haus selbst? Im Speicher vielleicht, oder im Keller?
Eines war mir klar: Der Ort, an dem Wesley die beiden eingesperrt hatte, war nun mit ziemlicher Sicherheit das Gefängnis von Kimberly, Billie und Connie.
Wenn sie noch am Leben waren.
Wesley hatte sie lebendig gefangen genommen, denn sonst hätte ich ihre Leichen auf dem Schlachtfeld finden müssen.
Und wenn er sie damals nicht umgebracht hatte, hielt er sie auch jetzt noch am Leben.
Ich musste das einfach glauben.
Ich musste mich an diese Vorstellung klammern, koste es, was es wolle. Es war wie ein Seil, an dem man über einer Schlucht hängt - und zwar einer sehr viel tieferen Schlucht als der oberhalb des Wasserfalls.
Sie sind am Leben , sagte ich mir. Ich muss nur herausfinden, wo Wesley sie gefangen hält, dann kann ich sie befreien und gemeinsam mit ihnen Wesley und Thelma ausschalten.
Es musste natürlich nicht unbedingt in dieser Reihenfolge geschehen.
Gut möglich, dass ich Wesley oder Thelma vor meinen Frauen fand.
Was soll ich als Erstes tun?
Ich sollte mich auf die Suche machen.
Aber ich blieb, wo ich war.
Ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden, meine Deckung zu verlassen.
Höchstwahrscheinlich waren Wesley und Thelma irgendwo in der Nähe. Wenn sie mich hier herumschleichen sahen, gab ich das Überraschungsmoment aus der Hand.
Was mich vermutlich das Leben kosten würde.
Und nicht nur das, ich hätte auch keine Chance mehr, meinen Frauen zu Hilfe zu kommen. Und wenn ich sie nicht rettete, wer dann?
Es sah ganz so aus, als ob ich ihre einzige Hoffnung wäre.
Wenn nicht auf wundersame Weise doch noch Hilfe von außen kam, waren sie Wesley schutzlos ausgeliefert - und das auf Wochen, Monate und vielleicht Jahre hinaus.
Vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens.
Auch um ihretwillen musste ich äußerst vorsichtig sein und durfte kein Risiko eingehen. Unter gar keinen Umständen durfte ich mich gefangen nehmen oder umbringen lassen.
Eigentlich sollte ich die Insel so schnell wie möglich verlassen und Hilfe holen, dachte ich.
Aber würde das nicht so aussehen, als wollte
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