Die Insel - Roman
Deshalb war ich unterwegs zum Dschungel.«
»Allein?«, fragte Thelma.
»Wen sollte ich denn mitnehmen?«
Sie öffnete den Mund, als wollte sie mir einen Vorschlag machen, packte dann aber Billie an der Schulter und schüttelte sie. »Hast du gesehen, was er mit deiner Tochter gemacht hat?«
Billie nickte.
Wir wandten die Köpfe in Richtung Connie. Sie lag immer noch ausgestreckt in der Nähe des Feuers, aber nicht mehr auf dem Rücken. Sie musste sich auf den Bauch gerollt haben, als niemand hinsah.
»Schätze, sie ist in Ordnung«, bemerkte ich.
»Rupert wollte sie vergewaltigen«, erklärte Thelma aufgebracht.
»Das stimmt nicht!«
»Du Bestie!«, fauchte sie mich an. »Du hast ihr die Kleider vom Leib gerissen!«
»Beruhige dich«, schaltete sich Billie ein. »Connie hat sich ihr T-Shirt und das Oberteil selbst ausgezogen.«
»Das glaube ich nicht. Warum sollte sie?« Thelma funkelte mich wütend an. »Und was hast du mit Kimberly gemacht?«
»Nichts.«
»Wo ist sie dann?«
Billie und ich wechselten einen Blick. Sie schüttelte den Kopf, ich zuckte mit den Schultern.
»Wenn wir ihr nicht die Wahrheit sagen«, meinte Billie, »müssen wir dauernd neue Geschichten erfinden.«
»Ja, ich weiß. Aber die Sache ist die, dass ich … äh … was erledigen muss. Warum geht ihr beide nicht zum Feuer zurück und schaut nach, wie es Connie geht? Sie können Thelma ja alles über unseren Plan erzählen, Billie. Ich komme in ein paar Minuten.«
»Wo ist meine Schwester?«, bohrte Thelma hartnäckig nach.
»Ich gehe sie suchen«, erwiderte ich. Ohne weitere lästige Fragen abzuwarten, drehte ich mich um und ging auf den Dschungel zu. Als ich kurz davor war, blickte ich noch einmal zurück. Billie und Thelma waren auf dem Weg zum Feuer und redeten miteinander, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagten.
Vor lauter Ärger über Thelma hatte ich meine Angst völlig vergessen.
Ich musste wirklich dringend pinkeln, also stellte ich mich an den erstbesten Baum des Dschungels. Kein Mensch schien in der Nähe zu sein, aber das bedeutete nicht viel. Es war so dunkel, dass sowohl Wesley als auch Kimberly weniger als einen Meter entfernt von mir hätten stehen können, ohne dass ich davon etwas mitbekam.
Wenn ich sie nicht sehen kann, können sie mich auch nicht sehen, redete ich mir ein.
Und glaubte es fast.
Meine Badeshorts haben keinen Hosenschlitz. Also zog ich sie im Schritt hoch und dann zur Seite, bis sich neben dem linken Bein eine passable Öffnung ergab. Mit der rechten Hand hielt ich die Shorts auf Abstand, mit der linken umklammerte ich meinen Tomahawk.
Noch ein Blick in die Runde, dann legte ich los.
Es würde etwas länger dauern, was mir nicht gerade recht war.
Ich wollte möglichst schnell fertig sein und zurück zum Strand.
Ebenso wenig recht war mir der Lärm, den ich machte. Ein lautes, plätscherndes Geräusch. Offensichtlich traf ich Laub oder etwas Ähnliches. Im Dschungel lautlos zu pissen
ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich schwenkte mal hierhin, mal dorthin, aber das Geräusch wurde dadurch nicht leiser.
Noch bevor ich den letzten Tropfen losgeworden war, hörte ich einen Schritt. Zuerst war ich mir nicht sicher, aber dann hörte ich einen zweiten.
Und einen dritten. Näher als die ersten beiden.
Inzwischen hatte ich mein Bewässerungsprojekt abgeschlossen und die Ausrüstung wieder verstaut.
Rasch nahm ich den Tomahawk wieder in die rechte Hand.
Dann stand ich reglos da und hielt den Atem an.
Und wünschte mir nichts sehnlicher, als dass ich beim Feuer geblieben wäre, wo ich hingehörte.
Die Schritte hatten aufgehört.
Stand da jemand? Vielleicht zwei Meter entfernt?
Ich starrte angestrengt ins Dunkel, um zu sehen, wer es war, konnte aber lediglich unterschiedliche Schattierungen von Dunkelgrau ausmachen - und sehr viel Schwarz.
Wahrscheinlich ist es Kimberly, sagte ich mir.
Aber wenn nicht?
Ich wusste, dass sie es war. Sie musste es sein. Vermutlich hatte sie mich gehört und war in meine Richtung gegangen, war dann aber stehen geblieben, weil sie Angst hatte, ich könnte Wesley sein.
Jetzt standen wir beide da und versuchten uns einzureden, dass der andere nicht Wesley war.
Plötzlich schoss mir ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf.
Was, wenn sie mich für Wesley hält und mich angreift?
Das würde sie nicht tun. Schließlich hatten wir ausgemacht, dass ich in den Dschungel kommen würde, als Köder für Wesley. Sie erwartete mich.
Aber sie wartete auch
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