Die Insel - Roman
wehtut.
Mit mir als dem einzigen Typen auf der Insel würden die Frauen wahrscheinlich eher ein Keuschheitsgelübde ablegen oder lesbisch werden, anstatt sich mit mir einzulassen. So war das schon immer mit mir und den Mädchen.
Wie bin ich überhaupt auf dieses Thema gekommen?
Ach ja, wegen der weinenden Kimberly.
Ich hätte ihr gerne die Augen trocken geküsst.
Ihr die Tränen von den Wangen geleckt.
Sie überall geleckt.
Aber ich stand einfach nur da und sah zu, wie sie aufstand, sich mit der Hand über die Augen fuhr und sich dann den Sand von den Knien wischte. Kimberly hatte nicht lange geweint. »Behalt sie im Auge, Rupe«, sagte sie zu mir.
»Wird gemacht.«
Billies Hand ruhte immer noch auf Kimberlys Schulter.
Gemeinsam gingen sie zum Wasser, um weiter mit dem Speer zu fischen. Connie hatte sich unter ihrem Sonnendach wieder hingelegt. Ich ging zu meinem Unterstand, nahm mein Tagebuch zur Hand und machte mich an die Arbeit.
Nach kurzer Zeit merkte ich, dass ich Thelma den Rücken zukehrte. Ich wechselte also die Stellung und drehte mich so, dass ich links Thelma und rechts Kimberly und Billie sah. Connie lag direkt vor mir.
Das tut sie auch jetzt noch. Und schaut mich an.
Wahrscheinlich glaubt sie, dass ich mich wegen ihr so hingesetzt habe und nicht, weil ich Thelma im Auge behalten will. Immerhin hat sie bisher noch nichts gesagt.
Kein »Was glotzt du so!« Kein »Verpiss dich!« oder »Fick dich ins Knie!«
Thelmas Stein hat sie irgendwie zahm gemacht.
Eigentlich sollte ich mich bei Thelma bedanken.
So, und jetzt bin ich mit dem Tagebuch zum Glück wieder auf dem Laufenden.
Siebter Tag
Meine Besucherin
Da Connie außer Gefecht und Thelma unsere Gefangene ist, teilten Billie, Kimberly und ich uns in der vergangenen Nacht die Wachen. Diesmal hatte ich die erste.
Ich blieb am Feuer, und da sich alle anderen schlafen gelegt hatten, blieb mir nichts anderes übrig als dazusitzen, hin und wieder ein Stück Holz nachzulegen und in Richtung Dschungel zu schauen, damit sich von dort niemand anschlich.
Ich fragte mich, ob Wesley wirklich tot war.
Er hatte Thelma wirklich übel zugerichtet, daran gab es keinen Zweifel. Und das war wirklich ein Grund, ihn zu töten, selbst für Thelma, der es nicht allzu viel ausgemacht zu haben schien, dass er ihren Vater ermordet hatte.
Ich hoffte sehr, dass Thelma Wesley wirklich getötet hatte und dass ich umsonst ständig in den Dschungel und alle paar Sekunden hinter mich blickte.
Mir wäre es lieber gewesen, wir wären gleich, nachdem Thelma uns ihre Geschichte erzählt hatte, losgezogen und hätten uns davon überzeugt, dass Wesley wirklich tot war.
Dann wüssten wir jetzt wenigstens, was Sache ist.
Andererseits hätte das natürlich auch dazu führen können, dass einer von uns jetzt tot wäre. Am ehesten ich.
Mir war schon seit langem klar, dass ich der Nächste auf Wesleys Liste war. Schließlich hatte er, seit wir hier auf der Insel waren, systematisch die anderen beiden Männer umgebracht,
und oben am Wasserfall hatte er Thelma ausdrücklich befohlen, mich mit dem Stein ins Jenseits zu befördern.
Trotzdem war ich, während ich so allein am Feuer saß, weniger um meine Sicherheit besorgt als um die der Frauen. Ich verspürte einen starken Beschützerinstinkt ihnen gegenüber und kam mir vor wie ein Hirte, der über seine schlafenden Schafe wacht. Und während ich so in den dunklen Dschungel starrte, stellte ich mir vor, wie ich heldenhaft einen Angriff auf sie abwehrte. Von anderen Fantasien, in denen sie ebenfalls eine Rolle spielten, will ich erst gar nicht reden.
Als ich etwa eine Stunde lang Wache gehalten hatte, sah ich, wie Thelma plötzlich aufstand.
Zuerst dachte ich, sie wolle fliehen, aber anstatt in Richtung Dschungel zu laufen, entfernte sie sich vorsichtig von den Schlafenden und kam mit langsamen Schritten auf mich zu, wobei sie das lange Ende des Seils hinter sich her schleifte.
Die anderen Frauen schliefen friedlich weiter - wenn sie bemerkt hätten, dass Thelma aufgestanden war, hätten sie bestimmt einen Mordskrach geschlagen.
Im Nachhinein betrachtet hätte ich genau das tun sollen - einen Mordskrach schlagen.
Und fast hätte ich es auch getan.
Mein erster Impuls war, Thelma zuzurufen, sie solle stehen bleiben.
So ein Schrei hätte die anderen (bis auf Connie) sofort aufgeweckt.
Aber ich blieb still.
Wozu die anderen aufwecken?, dachte ich. Damit werde ich schon allein fertig.
Aber es war nicht der einzige
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