Die Insel - Roman
Grund, weshalb ich still blieb. Ich muss gestehen, dass ich auch neugierig war. Was führte Thelma im Schilde? Warum kam sie zu mir? Das wollte ich herausfinden.
Ich nahm die Axt, stand auf und trat neben das Feuer. Falls sie doch noch fliehen wollte, sollte es nicht zwischen uns sein. Ich hielt die Axt mit beiden Händen auf Hüfthöhe, um Thelma zu zeigen, dass ich auf alles vorbereitet war.
Während Thelma näher kam, sprach sie kein Wort, und erst als sie nur noch wenige Schritte von mir entfernt war, sagte sie: »Ich kann nicht schlafen. Das heißt … ich habe geschlafen, aber jetzt bin ich aufgewacht und kann nicht mehr einschlafen, weil mir der Strick so in die Handgelenke schneidet.« Sie hob ihre Hände und zeigte sie mir. »Du kannst ihn nicht abmachen, oder?«
»Nein, das darf ich nicht.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Dachte ich mir schon. Aber fragen darf ich doch, oder? Hast du mal versucht, mit gefesselten Händen zu schlafen.«
»Wieso legst du dich nicht auf den Rücken?«, fragte ich.
»Auf den Rücken? Hast du nicht gesehen, wie der aussieht? Ach ja, stimmt, du hast dich ja umgedreht.«
Ich beließ sie in dem Glauben.
»Wesley hat mich ausgepeitscht. Mein Rücken ist ganz wund und tut fürchterlich weh. Alles tut mir fürchterlich weh. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was Wesley mir alles angetan hat, Rupert. Es gibt überhaupt keine Stellung, in der ich liegen kann. Ein Wunder, dass ich überhaupt einschlafen konnte.«
»Das tut mir Leid.«
»Du kannst nichts dafür. Es war mein Fehler, dass ich ihn geheiratet habe.«
»Das kann ich nicht beurteilen«, sagte ich.
»Jedenfalls bin ich jetzt fertig mit ihm. Ich bin aufgestanden und zu dir gekommen, weil ich mich gerne ein bisschen zu dir setzen würde. Ich mache dir auch keinen Ärger, versprochen. Aber ich kann einfach nicht mehr liegen … ich wälze mich bloß von einer Seite auf die andere … und das ist so schrecklich. Lässt du mich bei dir bleiben? Bitte, sag ja.«
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Es sprachen ein paar Punkte dafür, ihr den Gefallen zu tun:
A. Das Liegen musste ihr wirklich wehtun. Das war keine Lüge.
B. Was konnte sie mit gefesselten Händen gegen mich schon groß ausrichten? Immerhin hatte ich die Axt.
C. Wenn sie irgendeinen Trick versuchte, konnte ich jederzeit um Hilfe rufen.
D. Ich war immer noch neugierig. Vielleicht wollte sie mir ja etwas sagen. Oder versuchte sie, mich reinzulegen? Was würde geschehen, wenn ich sie bei mir sitzen ließ? Möglicherweise etwas Interessantes, vielleicht sogar etwas Aufregendes. Ganz zu schweigen davon, dass ich ein paar Fragen an sie hatte.
»Okay«, sagte ich. »Du kannst bleiben, aber nicht lange.«
»Danke, Rupert.« Es klang ehrlich. »Du bist mein Retter.«
»Aber nur unter einer Bedingung.«
Ihre Freundlichkeit schien verflogen, als sie fragte: »Und welche?«
»Dass du mir eine ehrliche Antwort auf alle meine Fragen gibst.«
Thelma atmete hörbar aus. »Dann lassen wir es bleiben. Ich dachte, du wärest anders als die anderen, aber da habe
ich mich wohl getäuscht. Kann denn nicht zur Abwechslung mal jemand nett zu mir sein?«
»Ich bin nett zu dir. Ich will bloß Klarheit über ein paar Dinge haben. Was ist daran so schlimm?«
Sie atmete tief durch. »Schlimm ist, dass ihr mich alle wie eine Verbrecherin behandelt.«
»Vielleicht ist es besser, du legst dich wieder hin.«
»Nein, nein. Ich werde reden. Frag mich, was du willst. Wieso solltest du auch anders sein als diese blöden Weiber? Also, was willst du wissen?«
»Setz dich erst mal.
Ich ging zurück auf meinem Platz jenseits des Lagerfeuers, setzte mich im Schneidersitz in den Sand und legte die Axt quer über meine Oberschenkel. Dann sagte ich Thelma, sie solle sich mit dem Gesicht zum Feuer links neben mich setzen. So hatten wir das Feuer nicht zwischen uns, und ich konnte ihr rasch einen Schlag mit der Axt versetzen, falls sie irgendwelche Probleme machte.
»Also, fangen wir an«, sagte ich. »Hat dir Wesley erzählt, warum er das alles getan hat?«
»Was meinst du mit ›das alles‹?«
»Warum hat er zum Beispiel das Boot in die Luft gejagt?«
»Er hat das Boot nicht in die Luft gejagt. Ich habe ihn mehrmals danach gefragt. Er hat Benzindämpfe gerochen und konnte gerade noch vor der Explosion über Bord springen. Um ein Haar wäre er dabei umgekommen. Kaum war er im Wasser, ist ihm alles um die Ohren geflogen.«
»Das hat er dir erzählt?«
»Ja.«
»Und du
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