Die Insel und ich
bezeichnen. Ein Halvorsen-Haus ist ganz offensichtlich der Sprößling einer Ehe zwischen einer Tankstelle und einer Bedürfnisanstalt, also solide, mit schmalen Fensterchen dicht unter der Traufe, ohne Kaminplatz oder schöne Aussicht, dafür aber durch einen auszementierten Keller fest mit dem Erdboden verwurzelt.
Das freundliche Städtchen Vashon hat Bank, Bibliothek, Bäckerei, Kino, ein Schuhgeschäft, zwei Restaurants, ein Geschäft für Fernsehapparate, Kegelbahn, Arzt, Zahnarzt und Beerdigungsinstitut, drei Tankstellen und eine Post. Die Häuser sind alle verschieden, bananengelb oder rot oder sogar aus Glas. Vashon erinnert mich immer an hübsche junge Mädchen vom Lande, die sich nicht anzuziehen verstehen. Ihr rosa Hut, das grüne Kleid, der braune Mantel, die grauen Strümpfe, ein gelbes Halstuch, orangefarbener Gürtel und lila Handschuhe mögen solide sein, aber Schönheitskönigin wird man so denn doch nicht.
Am Samstag strömt alles ins Städtchen. Auf den Bürgersteigen wimmelt es von gepflegten Müttern in blauen Jean-Hosen, die Scharen trödelnder Sprößlinge antreiben, von geplagten alten Leutchen, die sich mit gedämpfter Stimme über die hohen Preise unterhalten, von Indianern, die sich gegen Hauswände lümmeln und an Tüten mit Eiscreme lecken, von rotbackigen Farmern, die pralle Säcke mit Futtermitteln hinten auf klapprige Lastwagen werfen, von Ehemännern, die mit Märtyrermiene in parkenden Autos warten, von kichernden Schulmädchen mit flinken Äuglein, die sich gegenseitig vom Bürgersteig stoßen, von spinnebeinigen Austrägern, die unter einem Gebirge eingekaufter Waren aus den Läden hervortorkeln und krampfhaft «das rote Kabriolett mit der Delle im Kotflügel» suchen.
Nachts können wir von Vashons Nordzipfel aus die Lichter von Seattle glitzern sehen, und vom Südzipfel zwinkern Tacomas Lichtchen übers Wasser her. Der Anblick tut uns gut. Wir können uns immer sagen, daß «dort drüben, gleich hinterm Wasser», eine Stadt von einer Million Einwohnern liegt, und noch eine andre gleich jenseits mit fast einer Viertelmillion Einwohnern. Dort können wir jederzeit hin, wenn wir wollen. Es tut uns gut, daran zu denken, daß wir aus freien Stücken hier sind.
Aber wie kam es denn nur, daß wir überhaupt nach der Insel Vashon zogen? Damals nach dem Bombardement von Pearl Harbour war es gewesen, als Don und ich uns kennengelernt und geheiratet hatten. Vorher hatte ich mit meinen beiden Kindern, der zwölfjährigen Anne und der elfjährigen Joan, bei meiner Mutter in einem braunen Haus im Universitätsviertel gelebt, das auch noch zwei meiner vier Schwestern und zahllose Lieblingstiere beherbergte und wo wir viel Spaß, wenig Geld und Scharen von Gästen hatten.
Ich arbeitete bei einer Lieferfirma, die auf Regierungskosten etwas furchtbar Wichtiges und Teures hoch oben in Alaska errichtete. Mir ist noch dunkel in Erinnerung, daß es sich um ein Dock handelte, und der Konstrukteur hatte nicht an Ebbe und Flut gedacht, daher stand es meistens zehn Meter über dem Wasserspiegel. Jedenfalls galt ich als Chef-Sekretärin, was sich schön anhört, aber nichts zu bedeuten hatte, da ich die Bürostunden mit Kaffeetrinken oder dem Verbuchen folgender Tatsachen verbrachte: 500 Büchsen Kohl Nr. 27 zu 0,16 $ …. 80 $. Zu addieren brauchte ich’s nicht, dafür hatten wir eine besondere Kraft, einen tüchtigen Mann, der sich auch in der höheren Mathematik auskannte. Ich mußte nur darauf achten, daß das Wort «Kohl» leserlich und orthographisch richtig hingeschrieben wurde. Dafür bekam ich 47,50 $ wöchentlich, die nie ausreichten, aber damals für ein fabelhaftes Gehalt erachtet wurden, denn noch heutigentags herrscht in Seattle die Ansicht, daß alle weiblichen Angestellten (die süßen kleinen Herzchen) lieber zu Hause bleiben und Kuchen backen sollten, während jeder männliche Angestellte, sofern er nicht gerade auf allen vieren kriecht (von Regierungsbeamten abgesehen, die noch weniger zu leisten brauchen, wenn’s nur mit der politischen Einstellung stimmt), ohne weiteres doppelt soviel wie die intelligenteste Frau erhält.
Don machte für eine Flugzeugfabrik Testflüge (ich weiß nicht mehr, wieviel Gehalt er bekam, aber es reichte auch nie hin). Mit einem Freund und Bücherwurm, der bei Kerzenlicht Philosophie studierte, sich niemals rasierte, Fischgräten hinters Sofa warf und es für ‹Großreinemachen› hielt, wenn er einen weiteren japanischen Holzschnitt über einem
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