Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
einfach akzeptieren. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ein Gott, der verehrt werden wollte – sofern es ihn wirklich gab – von uns verlangte, dass wir nach bestimmten Gesetzen lebten. Und dabei so kläglich darin versagte, uns genauer mitzuteilen, wie er es haben wollte, und wie wir uns verhalten sollten.
Aber ich mochte Alain. Er war ein sanfter Mann. Er würde sterben, und er wusste es, aber er verlor nie die Würde oder stellte seinen Glauben in Frage. Er versuchte immer, uns von seinem Anteil Essen und Wasser etwas abzugeben, weil er sagte, dass es bei einem Mann verschwendet wäre, der sich die Lunge aus dem Leib hustete. Es kam häufig vor, dass er sehr darunter litt, nicht richtig atmen zu können, aber er spielte es immer herunter. Wenn er Schmerzen hatte, sagte er es uns nie. Er schien weder Groll zu hegen noch verlegen wegen der intimen Aufgaben zu sein, die er zusammen mit Aylsa erledigte. Er war genau so, wie ein Menoden-Patriarch sein sollte.
Er war auch belesen, ein gebildeter Mann mit einem riesigen Fundus an Wissen, das er bereitwillig weitergab. Ich lernte viel von ihm über Geschichte, Politik, Handel, Abmachungen: Sein Vorrat an Wissen war unerschöpflich. Ich nahm die Gelegenheit wahr und befragte ihn zum Beispiel über das Schicksal der Dunstigen Inseln, und was er mir daraufhin erzählte, habe ich nie vergessen.
Der letzte menschliche Wallherr der Dunstigen hatte zwei Söhne gehabt und herrschte über eine ständig im Streit liegende Inselgruppe aus flachen Koralleninseln und Atollen. Um die Ordnung aufrechtzuerhalten, hatte er seinen ältesten Sohn, den Wallerben, auf die am weitesten entfernte Insel geschickt, damit er dort beim Regieren half. Der Erbe war ein Silbbegabter namens Willrin, und die Insel, die für die Dunstigen ungewöhnlich fruchtbar und schön war, hieß Skodart. Die Insel wurde von wilden, unabhängigen Menschen bewohnt, die im Gegensatz zu den meisten Bewohnern der Dunstigen Bauern und Viehzüchter waren und keine Fischer. Sie stellten beinahe alles her, was gebraucht wurde, und hassten die Steuern und Einschränkungen, die ihnen von Dunstigenwall auferlegt wurden. Die Gesetze begünstigten das Wohlergehen der Fischer, der Muschelarbeiter und Seetangzüchter.
Willrin war ein junger und beeindruckender Mann, als er nach Skodart aufbrach. Im Laufe des ersten Jahres hatte er sich in eine Insulanerin verliebt und heiratete sie ohne königliche Zustimmung, wie das eigentlich für den Erben vorgeschrieben war. Dieser Fehler wurde noch gravierender, als er Zwillingssöhne bekam, die beide Thronanwärter waren, aber von seinem Vater in Dunstigenwall nicht anerkannt wurden. Außerdem untergrub er die Stellung seines Vaters, indem er die Inselbewohner bei ihren vielen Anliegen unterstützte. Es war eine Situation, die schon damals alle Zutaten für eine Tragödie in sich vereint hatte, und während die Jahre einander ablösten, wurde es nur noch schlimmer.
Der zweitälteste Sohn namens Vincen blieb an der Seite seines Vaters und betrachtete sich mehr und mehr als dessen Lieblingssohn. Der Wallherr verlangte, dass Willrin zur Hauptstadt zurückkehrte, aber der weigerte sich und blieb, wo er war, erhielt große Unterstützung in Skodart als Kämpfer der Inselrechte. In seiner Wut bildete der Wallherr seinen zweiten Sohn in allem aus, was ein Wallherr über das Herrschen wissen musste.
Vincen mag in Dunstigenwall und auf der Hauptinsel, wo die Leute ihn kannten, beliebt gewesen sein, aber auf den äußeren Inseln hing man an Willrin. Es war klar, dass es Ärger geben würde, egal, welchen Sohn der Wallherr auch bevorzugte. Wäre er klüger gewesen, hätte er eine Revolte verhindern können, durch gute Herrschaft und Diplomatie, aber er war ein Tyrann mit wenig ausgeprägten Vorstellungen über das Herrschen, abgesehen davon, dass er vollkommenen Gehorsam verlangte.
Die Wahrer unterstützten ihn natürlich. Thor und Flamme hatten Recht: Die Wahrer hassten jeden Gedanken an Revolution oder Veränderung; sie glaubten, dass solche Dinge die Ordnung zersetzen würden. Sie schickten Wahrer-Silbmagier als kriegerische Berater und verkauften dem Wallherrn die benötigten Waffen, verwandelten so das Inselreich in ein Heereslager. Die Menoden wiederum hatten ein berechtigtes Interesse an Skodart. Sie besaßen dort ein großes Kloster, das der Mittelpunkt eines großen Teils ihres intellektuellen Lebens war. Da war eine riesige Bibliothek, ein Priesterseminar und so weiter.
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