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Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende

Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende

Titel: Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenda Larke
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zwanzig zu sein, vielleicht auch ein bisschen älter, und er hatte helle Haut und helle Haare. Sein Gesicht war so ohne jede Arglist, dass sich mir sofort die Frage stellte, was zur Hölle er in diesem Müllhaufen, der Gorthen-Nehrung war, zu suchen hatte. Er hatte tatsächlich Grübchen, und außerdem Wimpern, die so weich gebogen waren, dass sie seine Wangen berührten, so wie der Schaum einer Welle, die sich auf dem Strand bricht. Als er mich sah, trat ein Ausdruck des Abscheus in seine Augen. Offenbar mochte er Mischlinge nicht.
    Mein Magen zog sich vor Verärgerung zusammen. Niemand sollte das Recht haben, mich mit derartiger Verachtung anzusehen, schon gar nicht ein Mann, der so jung und unerfahren war wie er. In Momenten wie diesen hätte ich alles getan – oder beinahe alles –, um auf mein eigenes Ohrläppchen ebenfalls das Zeichen der Bürgerrechte tätowiert zu bekommen.
    Trotz meiner Verärgerung hielt ich seinem Blick in aller Ruhe stand. Ich war geübt darin, auf Verachtung nicht zu reagieren.
    Ich wollte gerade meine Aufmerksamkeit wieder einem der beiden anderen Männer zuwenden, als der Kellner von einem der benachbarten Tische herüberkam und mich nach meinen Wünschen fragte. Darauf konnte es nur eine Antwort geben: Fisch. In dieser Schenke gab es nie etwas anderes zu essen als Fisch. Und ich bezweifelte, dass ich die Wahl haben würde, was die Zubereitung betraf, sofern der kulinarische Standard seit meinem letzten Besuch nicht völlig umgekrempelt worden war.
    » Gegrillter Fisch«, sagte ich. » Und einen Krug Gebrautes.« Und dann wehte mich ein Hauch Dunkelmagie an, bei dem sich mein Rückgrat versteifte und ich mich veranlasst sah, den Kellner genauer zu mustern.
    Er bot keinen sehr angenehmen Anblick. Er war etwa mittleren Alters, schätzte ich, aber es war schwer zu sagen, denn nur die eine Hälfte von ihm, die rechte, sah normal aus. Auf der linken Seite dagegen war all das, was menschlich an ihm gewesen war, verzerrt worden, und ich hätte den Gestank der Dunkelmagie nicht gebraucht, um zu wissen, dass er ihr zum Opfer gefallen war. Er sah aus, als wäre seine ganze linke Seite von den Fingern eines Riesen zermalmt und so gequetscht worden, dass sein Gesicht eine unförmige Masse und sein Rumpf bucklig und verunstaltet war. Sein linkes Auge hing schlaff herunter, dafür stand der linke Mundwinkel hoch. Die Wange dazwischen war so rau wie tote Koralle und voller Narben. Das formlose Kinn ging geradewegs in den Hals über. Sein linker Fuß war ein klumpiges Etwas, die linke Hand bestand aus knotigen Krallen am Ende einer verkürzten Gliedmaße. Das linke Ohrläppchen fehlte, war absichtlich weggeschnitten worden und hatte jeden Beweis seiner Bürgerrechte mitgenommen – oder deren Fehlen. Schlimm war vor allem, dass noch genug von ihm normal war, um erkennen zu lassen, dass er einst mindestens ebenso schön gewesen sein musste wie der Quillaner, der bei den Sklavenschiffern saß. Einen flüchtigen Moment lang erhaschte ich etwas beunruhigend Tiefes in seinen Augen: den Hinweis auf eine Tragödie. Eine Tragödie von solch epischem Ausmaß, dass es das Verständnis der meisten Leute überstieg – größer noch, als sogar ich zu erfassen vermochte.
    Ich spürte Mitgefühl in mir aufsteigen, und das geschah nicht sehr oft. » Wie heißt Ihr?«, fragte ich und streckte ihm eine Münze entgegen, um ihm zu zeigen, dass ich die Frage mit den besten Absichten stellte. Auf Gorthen-Nehrung musste man verdammt vorsichtig sein, wenn man persönliche Fragen stellte.
    Er schielte mich an, und ein Speichelfaden lief vom verrenkten Mundwinkel aus das Kinn hinunter. » Nennt mich Janko. Wann immer Ihr wollt, Juwelenauge.« Es gelang ihm, den letzten Satz in eine obszöne Anzüglichkeit zu verwandeln, dann packte er die Münze, gab ein hohes Kichern von sich, das auf eigenartige Weise in Missklang zu seinem Äußeren stand, und humpelte davon.
    Ich seufzte. So viel dazu, an einem öffentlichen Ort wie der Trunkenen Scholle Mitgefühl zu zeigen. Ich fragte mich, ob ich allmählich weich wurde; es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hätte ich keinen Moment Barmherzigkeit an einen derart uninteressanten Menschen verschwendet. Vielleicht wurde ich im Alter sanfter, wie Perlen. Der Gedanke machte mir nicht gerade Freude. Wenn man mit solchen Nachteilen behaftet war wie ich, war die Wut, die der blonde Jüngling geweckt hatte, mehr wert als jedes Mitgefühl. Ich musste so hart und rau wie die Schale einer

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