Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
Du hast also bereits alles ausgearbeitet.«
» Niemand drängt dich, Kel. Du kannst gehen, wohin du willst. Tun, was du willst. Sprich mit Thor. Ich weiß, dass du ihn nicht magst, aber er ist ein guter Mann.«
Ich wollte sagen: Bei den Himmeln, Glut, das ist er nicht mehr. Dafür haben wir gesorgt, du und ich. Er ist jetzt ein wütender Mann, voller Zorn auf uns beide. Ein harter Mann, durch die Dunkelmagie gehärtet, die er nun in sich trägt.
Was hatte das Ghemf noch gesagt? Wir haben mehr Übel angerichtet, als wir dachten.
Aber ich sagte nichts davon. Ich wollte sie nicht noch mehr belasten; sie hatte so schon genug zu tragen. Ich seufzte. Nichts von alldem, was zu tun war, würde einfach sein. Oder auch nur sicher.
Ich dachte an Jastriá und die Himmelsebene. An mein Exil und meine Familie. Ich dachte an all die Dunstigen und die Menschen auf der Flosse, die gestorben waren, weil ich getan hatte, was ich getan hatte, und ich wusste, dass ich den Rest meines Lebens damit verbringen konnte, Wiedergutmachung bieten zu wollen, und dennoch nachts nicht ruhig schlafen würde. Ich dachte an Ruarth, der so lange und so eindringlich und so tragisch geliebt hatte. Ich dachte an Flamme, die durch ihr eigenes, unfreiwillig empfangenes Kind umgewandelt wurde und einer Zukunft entgegensegelte, die so düster und freudlos war, dass es fast unvorstellbar war. Ich dachte an Glut, die geschworen hatte, die Freundin zu töten, die sie liebte. Glut, gejagt von denen, denen sie einst gedient hatte. Ich fühlte, wie die Verzweiflung mich schier zerriss.
» Wie spät is es?«, fragte ich.
» Spät. Essen wir noch eine Kleinigkeit und gehen wir dann zu Bett. Du bist erschöpft.« Sie stand da und streckte eine Hand aus. » Komm, Gilfeder. Wir müssen Pläne schmieden. Orte suchen, zu denen wir gehen könnten. Wir müssen etwas erledigen.«
Ich schlug in ihre angebotene Hand nicht ein. Stattdessen fragte ich neugierig: » Halbblut, gibst du eigentlich auch irgendwann mal auf?«
Sie legte den Kopf leicht schief und dachte darüber nach. » Ich habe die ersten dreißig Jahre meines Lebens zum größten Teil ohne Freunde verbracht. Dann bin ich Flamme begegnet. Und Thor. Und dir. Und Dek. Innerhalb von ein paar Wochen – nein, vom ersten Tag an, als ich Flamme begegnet bin – hat sich mein ganzes Leben verändert.« Sie lächelte mich schief an und zuckte kurz mit den Schultern. » Ich vermute, was ich damit sagen will, ist, dass ich zweimal im Jahr die Ruhmesinseln von einem Ende zum anderen durchqueren würde, wenn Flamme meine Hilfe braucht. Nein, ich gebe sie nicht auf. Noch nicht. Und wenn ich das jemals tue, werde ich sie töten. Dann werde ich sie aus ihrer Not befreien, denn das habe ich ihr versprochen.« Sie schwieg einen Moment, dann fügte sie hinzu: » Schockiert dich das?«
Ich schüttelte den Kopf. » Ich habe Jastriá aus genau dem gleichen Grund getötet, weißt du nich mehr?«
» Und du hast dich inzwischen mit der Tatsache ausgesöhnt, schätze ich.«
» Ja, ich denke, das habe ich. Ich glaube nich, dass ich es verdient hatte, so verletzt zu werden, wie sie das vorgehabt hat, aber ich kann es ihr nich verübeln. Sie hat mein Mitgefühl verdient, nich meine Vorwürfe. Die Menschen sind … komplexer, als ich einmal gedacht habe. Ich habe in sehr wenigen Wochen sehr viel gelernt.«
» Ich auch. Und es ist nicht alles gut gewesen. Ich … ich habe einen Freund verloren, weil ich sein Leben retten wollte. Und jetzt werde ich vielleicht eine Freundin verlieren, weil ich sie töte. Ich gehe so verschwenderisch mit meinen Freunden um, dass man – irrtümlicherweise – glauben könnte, ich hätte zu viele davon.« In ihren Worten schwang mehr trockener Humor als Bitterkeit mit, aber ihr schmerzlicher Unterton berührte mich trotzdem.
» Du hast immer noch mich«, sagte ich leichthin.
» Habe ich das? Wer weiß, ob ich auf dem Weg, den ich jetzt einschlage, nicht auch dir etwas Schreckliches antun werde.«
» Ach, Mädchen, das hast du doch schon längst getan. Gleich am Anfang, als wir uns kennen gelernt haben, schon vergessen? Du hast meinen Selber gestohlen und mein Leben zerstört.« Ich lächelte sie an. » Und dennoch bin ich hier. Irgendwie glaube ich nich, dass du mir noch was Schlimmeres antun kannst, also hast du in mir ziemlich sicher einen Freund fürs Leben.«
Sie lächelte nicht zurück. Im Gegenteil, sie biss sich auf die Lippe und wandte den Blick ab. » Das … das bedeutet mir eine ganze
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