Die Inselvogtin
reden.«
Augenblicklich erstarrten beide. »Der ist doch tot!«, stammelten sie.
»Sagt es ihm!« Tasso sah die Wachen mit derartig strengem Blick an, dass einer der beiden sofort loslief.
»Du siehst ihm tatsächlich ein wenig ähnlich «, gab der andere zu. »Ich war damals am Neujahrstag hier im Hof.«
Tasso ging nicht auf das Gespräch ein. Wahrscheinlich war bereits die Hälfte aller Uniformierten heimlich zur preußischen Seite gewechselt, um sich für später die bessere Position zu sichern. Er musste vorsichtig sein, wem er hier trauen konnte und wer ihn ins Verderben reißen könnte.
Nach einer scheinbaren Ewigkeit kam der Wächter in Begleitung eines alten Mannes wieder.
»Ich bin der Leibarzt des Fürsten «, erklärte der Mann. »Seine Durchlaucht ist schwer krank, seit ein paar Wochen schon. Und ich … «
»Welches Gift hat man ihm denn untergemischt?«, unterbrach Tasso seine fadenscheinigen Ausreden.
Der Arzt wollte sich empören, doch es blieb nur bei einem vorgetäuschten Hustenanfall. »Wie kommt Ihr darauf?«
Tasso antwortete nicht gleich. Er wusste genau, dieser alte Mediziner war nicht so unschuldig, wie er tat. »Führt mich zu ihm, oder Ihr werdet es bereuen!«
»Was fällt dir ein, den Leibarzt derart anzufahren?« Die beiden Wachen traten neben seinen Gaul, mit drohender Miene und die Degen gezückt. »Wenn du tatsächlich der wiederauferstandene Weiße Knecht bist, dann solltest du lieber das Weite suchen. Der Fürst ist alles andere als gut auf dich zu sprechen!«
»Also, hau ab, oder wir werfen dich in den Kerker!«, ergänzte der zweite Wachmann.
Tasso stieg vom Pferd ab. »Ich bin unbewaffnet und komme in friedlicher Absicht.«
»Niemand glaubt einem Verbrecher wie dir!« Die Klinge des einen drückte sich gegen seine Hüfte, nur der feste Stoff seines Umhangs verhinderte, dass sie sich in sein Fleisch bohrte.
Er musste schnell reagieren, sonst war er hier am Ende seiner Reise angelangt. »Nehmt das hier «, sagte er, löste den Knopf unter seinem Kinn und warf den Umhang mit einer derart raschen Armbewegung über den Degen, dass er dem Wächter aus der Hand fiel. Gleichzeitig griff er mit der linken Hand danach und schlug dem anderen, der nun mit einem aufgeregten Schrei auf ihn zusprang, mit der Faust ins Gesicht. Der alte Mediziner wich ängstlich zurück und gab den Weg frei.
Wie lange hatte er keine Waffe mehr in der Hand gehalten? Tasso wusste es nicht. Er rannte ins Schloss, zerrte den Leibarzt hinter sich her und nahm zwei Stufen auf einmal, als er die wuchtige Treppe emporstieg. Die wenigen Menschen, denen sie begegneten, gingen ihnen aus dem Weg.
Drei Diener hatten sich vor dem Schlafgemach des Fürsten postiert, um jeden Gast mit irgendwelchen Duftwässerchen zu besprühen. Der Arzt schob die Männer rabiat zur Seite.
»Aber es ist für die Gesundheit des Fürsten!«, rief einer von ihnen erbost, doch da war Tasso schon durch die gewaltige Tür getreten.
Der Fürst saß in seinem riesigen Bett, sein ausgezehrter Körper wurde an allen Seiten von Kissen gestützt, und er war so bleich wie das helle Linnen um ihn herum. Die Augen schienen matt und leblos zu sein, und als er den Weißen Knecht erblickte, waren weder Angst noch Hass in ihnen zu erkennen.
»Lasst uns allein «, sagte Carl Edzard mit dünner Stimme. Schweiß lief über sein Gesicht, der kurze Satz schien ihn angestrengt zu haben. »Sofort!«
Der Arzt und einige herbeigeeilte Wachen folgten nur widerwillig dem Befehl. Als die Tür von außen geschlossen worden war, atmete Carl Edzard so tief ein und aus, als würde er gerade sein Leben aushauchen. Langsam schloss er die Augen, als müsse er sich sammeln.
»Was wollt Ihr?«, hauchte er.
»Seid Ihr schon mal auf den Gedanken gekommen, dass man Euch vergiften will?«
Der Fürst schaffte ein mühsames Lächeln. »Dann hätte mein jämmerliches Leben wenigstens ein beachtliches Finale, oder nicht?«
»Und was ist mit Ostfriesland? Es wird in preußische Hände fallen und Friedrich II. um einen weiteren Landstrich reicher machen. Und Ostfriesland um das letzte bisschen Freiheit ärmer … «
»Es ist mir egal!« Tatsächlich hatte der letzte Satz überzeugend geklungen. Er schloss die Augen. Carl Edzard musste mit seinem Leben abgeschlossen haben, dachte Tasso und wusste, es lag nun an ihm, den Fürsten am Aufgeben zu hindern. Auch wenn die Familie Cirksena stets sein Feindbild gewesen war, jetzt erschien ihm nichts wichtiger, als dass dieser
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