Die Inselvogtin
»Es ist ein fürstlicher Erlass vom 21. Mai diesen Jahres. Ab sofort darf bei den Gottesdiensten weder für das Wohlergehen der Fürstin noch für das Gedeihen ihrer Leibesfrucht gebetet werden.«
Die Kirchenbank bot gerade noch Halt, sonst wäre Wilhelmine zur Seite gekippt.
»Wer hat das unterzeichnet?«
Der Pastor schaute noch einmal genauer nach. »Der Kanzler von Langeln. Das fürstliche Siegel ist darunter. Versteht mich doch, Eure Durchlaucht, ich konnte nicht anders handeln.«
Ohne einen weiteren Satz drehte Wilhelmine sich um und verließ die Kirche. Welche Demütigungen sollte sie denn noch in Kauf nehmen müssen? Sie wollte so schnell wie möglich ihr Refugium aufsuchen.
Als sie auf dem Vorplatz eine in sich zusammengesunkene Gestalt in der Nähe des Brunnens stehen sah, ein fülliger Mann, der völlig außer Atem war, als hätte ihn der Teufel persönlich bis hierher gejagt, wollte Wilhelmine den Schritt beschleunigen. Doch dann erkannte sie Carl Edzard, ihren Gatten.
»Was macht Ihr denn hier?«, fauchte sie ihn an.
»Gebt mir etwas zu trinken «, japste er statt einer Antwort.
Es war unerklärlich: Sie konnte weder ein Reitpferd noch eine Kutsche sehen. Der Fürst musste vom Schloss bis hierher gelaufen sein. Ohne seine Entourage. Und das, wo er doch sonst jede Bewegung mied und bei der kleinsten Anstrengung in Atemnot geriet.
Wilhelmine wusste, es musste etwas geschehen sein. Erst der Erlass an die Pastoren, sie von der Fürbitte auszuschließen, und dann der unerwartete Besuch des Fürsten höchstpersönlich hier vor dem Gotteshaus. Wie ein Bettler kam er ihr vor.
»Hört Ihr nicht? Ich brauche etwas zu trinken «, rief Carl Edzard.
Doktor Horst, der nach Wilhelmine aus der Kapelle getreten war, reagierte sofort. »Ich werde Euch ein Glas bringen, Eure Durchlaucht. Setzt Euch solange hin.«
Carl Edzard sank auf den Rand des Brunnens. Wilhelmine entschloss sich, erst einmal die besorgte Fürstengattin zu mimen, eilte auf ihn zu und betupfte mit ihrem Taschentuch seine Stirn. Sie konnte sich nicht erinnern, ihm jemals so nahe gekommen zu sein. »Um Himmels willen, verehrter Fürst, was ist geschehen?«
»Ich weiß alles, Wilhelmine. Ihr seid eine Mörderin! Und Ihr seid zu weit gegangen. Vieles habe ich ertragen, aber dass Ihr mir das Liebste genommen habt … Alle Welt soll erfahren, dass dieses Kind in Eurem Leib nichts weiter ist als ein Bastard, den Ihr mit meinem Obersten Geheimrat gezeugt habt.«
Obwohl Carl Edzard am Ende seiner Kräfte zu sein schien und es aus eigener Kraft nicht schaffte, sich vom Brunnenrand zu erheben, wirkte er in Wilhelmines Augen zum ersten Mal furchteinflößend. Es war sein Zorn, der ihn zu einer Bedrohung werden ließ.
»Ihr habt den Befehl gegeben, Jantje und mein Kind zu töten. Und der Geheimrat hat ihn nur zu gern ausgeführt. Eigentlich hätte ich Euch genauso gefangen nehmen müssen wie diesen Switterts.«
Wilhelmine beschloss, sich nichts anmerken zu lassen. »Wie könnt Ihr es wagen, eine hochschwangere Frau mit derartigen Vorwürfen zu belasten? Mein Arzt hat gesagt, ich solle mich auf keinen Fall aufregen!« Sie hielt sich den Bauch und starrte ihn vorwurfsvoll an.
»Was Euer Arzt sagt und was nicht, ist mir, gelinde gesagt, egal. Da ich Euch nie beigewohnt habe, ist es nicht mein Kind, um das ich mich sorgen muss.«
Wilhelmine wich seinem Blick nicht aus. »Aber ich bin Eure Fürstin und trage den rechtmäßigen Thronfolger unter meiner Brust.«
»Jantje Haddenga war mein Eheweib, und das wisst Ihr längst. Der Junge, den sie mir geschenkt hat, ist der wahre Thronfolger. Und diese Wahrheit soll nun das ganze Land erfahren. Es muss Schluss sein mit diesen Intrigen und Heimlichkeiten! Außerdem werde ich die machtgierigen Preußen in ihre Schranken weisen und endlich für Frieden in diesem Land sorgen.«
Niemals hatte Wilhelmine ihren Gatten so reden hören. Es war, als wäre er von einem Tag auf den anderen erwachsen geworden. Doch das, was er sagte, brachte alles in Gefahr, was ihr Leben bedeutete.
Doktor Horst stürmte herbei, ein kühles Glas Milch in seiner Hand, feine Tropfen hatten sich am Rand gebildet. Carl Edzard entriss ihm das Getränk ungeduldig und setzte es an seine Lippen.
Wilhelmine versuchte ein selbstsicheres Lächeln.
»Verehrtester Gatte, es ist doch hinfällig, welche Bedeutung dieser Junge gehabt haben mag. Schließlich ist er tot, verbrannt bei diesem tragischen Brand in der Pewsumer Mühle. Und weder er noch
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