Die Inselvogtin
Ihr nicht dasselbe Ziel verfolgt? Die friesische Freiheit? Die Abschaffung des Fürstenhauses?«
Weert musste zugeben, er war nie auf den Gedanken gekommen, dass die Feinde des Fürstenhauses nicht selbstredend gemeinsame Sache machten. Doch Homfelds verzogene Mundwinkel verrieten ihm, dass diese Annahme ein Irrtum gewesen war. Ein fataler Irrtum.
»Der Weiße Knecht war ein Träumer, ein Idealist. Er glaubte an diese alte Geschichte. Die Friesen seien ein besonderer Menschenschlag und müssten sich niemals einem Herrscher unterwerfen … «
»Und woran glaubt Ihr, Homfeld?«
»An das Gleiche wie Ihr, Switterts. An die Macht. Nur dass ich niemals einen Finger krumm gemacht hätte für ein Geschlecht wie die Cirksena, das seit Generationen nur aus Schwächlingen besteht. Ich glaube an die Macht der Stärkeren, und diese müssen nicht zwangsläufig blaublütig sein. Dafür kämpfe ich. Und Ihr solltet es auch tun.« Der Mann lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Nun, kann ich auf Euch zählen?«
»Aber Ihr müsst verstehen, es ist doch mein Kind, es könnte eines Tages … «
»Da setzt Ihr auf das falsche Pferd, Switterts «, unterbrach ihn der Syndikus und begann, einige Papiere auf seinem Schreibtisch zu sortieren. »Wenn unser Vertrag in den nächsten Wochen zur Unterschrift kommt, ist das Ende der Cirksena besiegelt. Wir sorgen dafür, dass die Friesen sich Friedrich II. anschließen. Und solltet Ihr, werter Switterts, uns heute dabei unterstützen, können wir Euch morgen mit einem eindrucksvollen Posten im preußischen Reich belohnen.«
Er ließ die Papiere wieder sinken und schaute Weert direkt an. »Wenn Ihr Euch jedoch entschließt, einen kleinen, schreienden Bastard zu unterstützen, dann werdet Ihr bis an Euer Lebensende solch erbärmliche, stinkende Kleidung tragen, wie Ihr es gerade tut. Überlegt es Euch gut!«
Mit einer lapidaren Bewegung schob Homfeld ihm die Unterlagen zu. »Werft ein Auge darauf, und Ihr werdet erkennen, dass dieser Vertrag für Euch die besten Chancen beinhaltet.«
»Und wenn ich nicht unterschreibe?«
»Dann wisst Ihr eindeutig zu viel, als dass ich Euch gefahrlos wieder gehen lassen könnte.«
5
T asso zog den Pflug durch die torfige Erde. Hellbraune Klumpen warfen sich links und rechts der Schneise auf. Hätte er vor fünf Jahren gewusst, wie viel Arbeit auf ihn zukäme, hätte er das kleine Grundstück in der Hagermarsch nicht übernommen. Er war der Erste, der dieses brachliegende Land nach der Versalzung durch die Weihnachtsflut wieder bebaute. Zum Glück gab es dieses neue Gemüse, eine exotische Knolle aus Südamerika, die besonders gut im Kleiboden der Marschgegend reifte. Die Kartoffel schmeckte aromatisch, sättigte und ließ sich auf den ostfriesischen Märkten gut verkaufen. Bald würde Tasso die erste Ernte in diesem Jahr ausgraben. Doch zuvor war es an der Zeit, den Grünkohl und die Rote Beete zu setzen.
Das Bestellen des Ackers war eine Qual für seine Knochen. Er hatte niemanden, der ihm half, auch kein Rind oder gar Pferd, das den Pflug hätte ziehen können. Der Ertrag als Bauer machte ihn gerade mal satt. Nächstes Jahr wurde er vierzig, aber sein Rücken schmerzte bereits, als sei er ein alter Mann. Ein einsamer, alter Mann, dachte Tasso und fasste an die Kette um seinen Hals.
Seit jener Nacht in der Mühle trug er das Medaillon auf seiner Brust, das er von Eyke zum Dank erhalten hatte. Der neue Inselvogt von Juist hielt sich seit damals an das Versprechen, niemals einer Menschenseele zu verraten, dass der Weiße Knecht die Feuersbrunst überlebt hatte. Ab und zu trafen sie sich in der Nähe von Norden, und Eyke erzählte dann von Maikea, von ihrem Fleiß und ihrer Hartnäckigkeit. Und von Jan, den sie als ihren Sohn ausgab. Ein kluger Junge, gesund und kräftig. Eyke hatte auch nicht verschwiegen, dass Maikea ihrem Nachbarn vor wenigen Tagen das Eheversprechen gegeben hatte. Ihr Verlobter sei ein anständiger Kerl, der es gut mit ihr meinte.
Tasso hatte seinem Freund gelauscht, ohne zu verraten, was diese Worte in ihm auslösten. Er tat stattdessen so, als freue er sich aufrichtig über diese fabelhaften Neuigkeiten. Er sehnte sich nach Maikea, und er konnte es kaum ertragen, sie sich in den Armen eines anderen vorzustellen. Aber er blieb, wo er war.
Tasso kannte das Geheimnis, das den Jungen umgab. Aber niemand sonst durfte erfahren, dass der rechtmäßige Erbe Ostfrieslands heimlich auf Juist groß wurde. Erst, wenn die richtige Zeit
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