Die irische Signora
hilfsbereiteste Junge bist, den er je an der Schule hatte.« Ohne sich dessen bewußt zu sein, hatte sie beinahe wie mit einem Kleinkind zu ihm gesprochen, in säuselndem Tonfall und von oben herab.
Aber Laddy war es gar nicht aufgefallen. Er strahlte übers ganze Gesicht. »Wirklich?«
»Ja, er hat gesagt, du seist ganz toll darin, Feuer zu machen, Bücher zu tragen und Botengänge zu erledigen.« Sie bemühte sich, nicht bitter zu klingen.
»Nun, jeden kann er damit nicht beauftragen, aber mir vertraut er«, erwiderte Laddy stolz.
»Hör mal, Laddy, ich habe ein bißchen Kopfweh. Könntest du mir eine Tasse Tee machen, sie mir mit einer Scheibe Sodabrot aufs Zimmer bringen und anschließend für Shay den Tee vorbereiten? Das wäre wundervoll.«
»Für Shay zwei Scheiben Schinken und eine Tomate?«
»Ganz genau, Laddy, das wäre nett von dir.«
Sie ging nach oben und legte sich auf ihr Bett. Wie hatte ihr nur entgehen können, daß er geistig zurückgeblieben war? Waren Eltern auch so blind in ihrer übertriebenen Fürsorglichkeit für ihre Kinder?
Nun, das zumindest würde sie nun nie erfahren. Eine Heirat kam nicht mehr in Frage, oder? Nein, sie würde hier weiterhin mit ihrem begriffsstutzigen Bruder und dem verdrießlichen Knecht zusammenleben. Die Zukunft bot ihr keine hoffnungsfrohe Aussicht mehr, es würde ewig im gewohnten Trott weitergehen. Vieles von dem, was sie tat, machte ihr nun keine Freude mehr.
Jede Woche schrieb sie einer ihrer Schwestern einen Brief, so daß alle einmal im Monat Nachricht von ihr bekamen. Sie erzählte ihnen kleine Anekdoten über Laddy und das Leben auf dem Hof. Doch nun fiel es ihr zusehends schwerer, ihnen zu schreiben. War den anderen bewußt, daß ihr Bruder zurückgeblieben war? Kam daher all das Lob und die Dankbarkeit – weil sie alles aufgegeben hatte, um sich um ihn zu kümmern?
So hatte sie es nicht geplant; eigentlich hatte sie nach dem tragischen Tod ihrer Eltern nur ein paar Jahre ihrer Jugend opfern wollen, um dann wieder in ihrem Beruf zu arbeiten. Voller Bitterkeit dachte sie an ihre Eltern zurück. Warum hatten sie auch den verdammten Karren über den Bahnübergang schieben müssen, warum hatten sie sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht und ihn einfach stecken gelassen?
Diesmal sollte der Brief zusätzlich eine Geburtstagskarte und zehn Shilling für eine Nichte enthalten, und als sie alles zusammen in den Umschlag steckte, wurde ihr bewußt, daß die anderen den Eindruck haben mußten, sie werde für ihre Mühe reich belohnt. Schließlich hatte sie einen Bauernhof, Grundbesitz. Dabei war das das letzte, was sie wollte. Dem erstbesten, der vorbeikam, hätte sie alles gegeben, wenn er dafür versprochen hätte, Laddy für den Rest seines Lebens ein liebevolles Zuhause zu bieten.
Jeden Sommer kamen Schausteller in die Stadt. Rose nahm Laddy mit zum Rummelplatz und fuhr mit ihm Autoskooter und Karussell. In der Geisterbahn klammerte er sich an sie und kreischte vor Entsetzen, aber als es vorbei war, wollte er noch einen Shilling für eine zweite Fahrt haben. Rose traf viele Bekannte aus der Stadt, und alle begrüßten sie freundlich. Rose Byrne wurde von allen geachtet. Jetzt wußte sie, warum. Aus Anerkennung dafür, daß sie sich aufopferte.
Ihr Bruder amüsierte sich bestens.
»Können wir das ganze Eiergeld verbrauchen?«
»Nur einen Teil davon, nicht alles.«
»Wo könnte man es besser ausgeben als auf dem Rummelplatz?« meinte er, und sie sah ihm zu, wie er zum Ringewerfen ging und eine Herz-Jesu-Statue für sie gewann. Er platzte beinahe vor Stolz, als er ihr seinen Preis zeigte.
Da sagte eine Stimme neben ihr: »Die nehme ich mit auf den Hof zurück, dann müssen Sie sie nicht den ganzen Tag mit sich herumschleppen«. Es war Shay Neil. »In der Fahrradtasche ist genug Platz dafür«, sagte er.
Das war wirklich nett von ihm, denn die große, notdürftig in Zeitungspapier gewickelte Statue wäre eine schwere Last gewesen.
Rose lächelte ihm dankbar zu. »Ach, Shay, Sie sind ein Pfundskerl, immer da, wenn man Sie braucht.«
»Danke, Rose«, erwiderte er.
Etwas in seiner Stimme ließ sie vermuten, daß er getrunken hatte. Sie musterte ihn scharf. Nun, warum auch nicht? Heute war sein freier Tag, da konnte er soviel trinken, wie er wollte. Auch für ihn war das Leben auf dem Hof kein Zuckerschlecken, ganz allein dort in dem Nebengebäude. Schließlich mußte er jeden Tag Mist schaufeln und Kühe melken. Soweit sie wußte, hatte
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