Die irische Signora
die Abschlußprüfungen stecken müssen, doch er hatte noch kein einziges Mal davon gesprochen.
»Du lieber Himmel, bei euch in der Schule wird beileibe kein großer Wirbel um die Prüfungen gemacht«, sagte Rose eines Tages zu ihm. »Man würde meinen, daß es jede Menge zu lernen und zu wiederholen gäbe, aber keine Silbe davon.«
»Ich glaube nicht, daß ich dieses Jahr die Prüfung mache«, erwiderte Laddy.
»Aber sicher machst du sie dieses Jahr, das ist dein letztes Schuljahr. Wann sonst solltest du sie machen?«
»Bruder Gerald hat noch kein Wort davon gesagt«. Er wirkte nun besorgt.
»Ich werde mich darum kümmern, Laddy.« Rose hatte sich immer um alles gekümmert.
Mittlerweile war sie fast dreißig, eine hübsche, dunkelhaarige Frau mit einem heiteren, gutmütigen Naturell. Im Laufe der Jahre hatte so mancher Mann ein Auge auf sie geworfen, aber sie hatte alle abgewiesen. Sie müsse sich um ihre Geschwister kümmern. Wenn die erst alle gut versorgt wären, würde sie darüber nachdenken, sich zu binden … so antwortete sie stets mit einem fröhlichen Lachen auf alle Anträge. Und nie fühlte sich jemand dadurch gekränkt, weil alle Annäherungsversuche bereits im Keim erstickt wurden, noch bevor es zu einer engeren Beziehung hatte kommen können.
Rose suchte Bruder Gerald auf, einen kleinen, freundlichen Mann, von dem Laddy nur Gutes erzählt hatte.
»Mensch, Rose, machen Sie doch die Augen auf, Mädchen«, sagte er. »Laddy ist der anständigste Junge, der je seinen Fuß über diese Schwelle gesetzt hat. Aber der arme Teufel ist leider nicht der hellste.«
Rose lief vor Ärger rot an. »Ich glaube, Sie haben da etwas falsch verstanden, Bruder«, fing sie an. »Laddy ist sehr lernwillig. Vielleicht ist ja nur die Klasse zu groß.«
»Beim Lesen muß er den Finger unter jedes Wort legen, und auch dann schafft er es nur mit Mühe.«
»Das ist nur so ein Tick von ihm. Bestimmt kann man ihm das abgewöhnen.«
»Ich versuche es nun schon seit zehn Jahren, aber ich bin nicht weit gekommen.«
»Nun, das ist kein Weltuntergang. Immerhin ist er nie durchgefallen. Er hat in keinem Fach wirklich schlecht abgeschnitten, das Abschlußzeugnis müßte er also bekommen, oder?« Bruder Gerald setzte zu einer Antwort an, hielt jedoch inne, als hätte er sich anders besonnen. »Nein, sagen Sie bitte etwas, Bruder, ich möchte hier nicht mit Ihnen streiten. Wir wollen beide das Beste für Laddy. Sagen Sie mir, was ich wissen muß.«
»Er ist nie durchgefallen, Rose, weil er nie eine Prüfung mitgeschrieben hat. Ich wollte Laddy diese Demütigung ersparen. Der Junge sollte nicht immer der Schlechteste von allen sein.«
»Und was macht Laddy, während die anderen Prüfungen schreiben?«
»Er erledigt solange Botengänge für mich. Laddy ist ein gutmütiger, zuverlässiger Kerl.«
»Welche Art von Botengängen, Bruder?«
»Ach, Sie wissen schon, er trägt Bücherkisten irgendwohin, schürt das Feuer im Lehrerzimmer, bringt etwas zur Post.«
»Ich zahle also Schulgebühren dafür, daß mein Bruder hier Handlanger spielt, wollen Sie das damit sagen?«
»Rose Byrne«, begann er mit Tränen in den Augen. »Hören Sie schon auf, alles mißzuverstehen. Von welchen Gebühren reden Sie eigentlich? Von den paar Pfund im Jahr? Sie wissen genau, daß Laddy glücklich bei uns ist. Was könnten wir mehr für ihn tun? Es ist völlig ausgeschlossen, daß er die Abschlußprüfung oder irgendeine andere Prüfung besteht, das muß Ihnen doch klar sein. Der Junge ist ein bißchen zurückgeblieben, mehr nicht. Ich wünschte, es gäbe bei einigen Jungen, die hier an der Schule waren, nicht mehr zu bemängeln.«
»Wie soll es dann mit ihm weitergehen, Bruder Gerald? Eigentlich wollte ich ihn auf eine Landwirtschaftsschule schicken, damit er lernt, einen Hof zu führen.«
»Das würde er nie schaffen, Rose, selbst wenn man ihn aufnehmen würde, was nicht der Fall sein wird.«
»Und wie soll er dann den Hof übernehmen?«
»Das wird er nicht. Sie werden den Hof weiterführen. Das war Ihnen doch immer klar.«
Es war ihr nicht klar gewesen. Nicht bis vor einer Minute.
Als sie nach Hause kam, war ihr das Herz schwer wie Blei.
Shay Neil schaufelte Mist auf einen Haufen. Er nickte ihr wie immer mürrisch zu. Laddys alter Hund Tripper begrüßte sie mit einem Bellen, und sogar Laddy selbst kam zur Tür heraus.
»Hat Bruder Gerald sich über mich beklagt?« fragte er ängstlich.
»Er hat gesagt, daß du der
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