Die irische Signora
Gottes Wille gewesen und ihre Zeit gekommen war, hatte er sich doch immer gefragt, warum Gott sie ausgerechnet auf diese Weise hatte sterben lassen.
Denn es hatte so vielen Menschen Kummer und Schmerz bereitet. Der Zugführer, dieser bedauernswerte Mann, kam nie darüber hinweg und endete schließlich in einer Nervenheilanstalt. Und diejenigen, die Mam und Dad damals als erste gefunden hatten, konnten ihr Leben lang nicht darüber sprechen. Einmal fragte Laddy einen Pfarrer, warum Gott seinen Eltern nicht eine schwere Wintergrippe beschert hatte, wenn er schon wollte, daß sie starben. Daraufhin hatte sich der Pfarrer nur nachdenklich am Kopf gekratzt und erwidert, daß die Wege des Herrn unergründlich seien, und wenn die Menschen alles verstehen würden, was hienieden geschehe, wären sie ebenso weise wie Er, was natürlich nicht sein könne.
Laddys älteste Schwester Rose arbeitete als Krankenschwester im örtlichen Krankenhaus. Aber sie kündigte ihre Stellung, um sich um ihre Familie zu kümmern, auch wenn sie sich oft einsam dabei fühlte. Denn der junge Mann, der ihr den Hof gemacht hatte, brach die Beziehung ab, als sich die Umstände änderten und er jedesmal, wenn er sie sehen wollte, einen Fußweg von zweieinhalb Kilometern auf sich nehmen mußte. Ganz abgesehen davon, daß sie nun eine ganze Kinderschar am Hals hatte.
Doch Rose sorgte gut für sie. Jeden Abend kontrollierte sie in der Küche die Hausaufgaben, sie wusch und flickte ihre Kleider, kochte und putzte das Haus, baute Gemüse an, hielt Hühner. Als Knecht stellte sie Shay Neil ein.
Shay versorgte die kleine Rinderherde und hielt den Bauernhof in Gang. Er fuhr auf Märkte und Landwirtschaftsmessen und tätigte dort Geschäfte. Seine Wohnung lag in einem umgebauten Nebengebäude, wo er ein ruhiges Leben führte. Schließlich sollte alles seine Ordnung haben, wenn jemand zu Besuch kam. Und die Vorstellung, daß ein Mann – ein Knecht – zusammen mit den vielen Mädchen und einem kleinen Jungen im gleichen Haus wohnte, hätte niemandem behagt.
Indes, die Byrne-Mädchen hielt es nicht mehr lange auf dem kleinen Hof. Rose sorgte dafür, daß jede ihren Schulabschluß machte, und, ermuntert von ihrer großen Schwester, verließ eine nach der anderen das Haus. Die eine wurde Krankenschwester, die zweite Lehrerin, die dritte arbeitete in Dublin als Verkäuferin, und die vierte ging in den öffentlichen Dienst.
Die Nonnen und Rose hatten sich hervorragend um die Byrne-Mädchen gekümmert. Das sagten alle. Und nun steckte Rose ihre ganze Energie in die Erziehung ihres jüngsten Bruders Laddy. Mit seinen sechzehn Jahren hatte er seine Eltern schon fast vergessen. Er kannte nichts anderes mehr als das Leben mit Rose, der geduldigen, lustigen Rose, die ihn nie für beschränkt gehalten hatte.
Stundenlang saß sie neben ihm und übte mit ihm die Aufgaben, bis er sie schließlich konnte. Nie war sie böse, wenn er das Gelernte am nächsten Morgen schon nicht mehr wußte. Nach den Berichten vieler seiner Klassenkameraden zu schließen, sorgte Rose besser für ihn als so manche Mutter für ihren Sohn.
In dem Jahr, als Laddy sechzehn wurde, heirateten zwei von Roses Schwestern, und Rose kochte bei beiden Hochzeiten das Hochzeitsmahl und bewirtete die ganze Gesellschaft. Es waren große Ereignisse, wovon Bilder an den Wänden zeugten, Fotos, die man vor dem Haus, das Shay eigens für den Anlaß frisch gestrichen hatte, aufgenommen hatte. Shay war natürlich auch dabei, wenn er sich auch im Hintergrund hielt. Er gehörte schließlich nicht zur Familie, er war nur ein Knecht.
Eines Tages kündigte Laddys dritte Schwester, die in England arbeitete, ebenfalls ihre bevorstehende Hochzeit an. Allerdings sollte die Trauung in aller Stille stattfinden, was bedeutete, daß sie schwanger war und nur standesamtlich heiraten würde. Rose schrieb ihr, daß sie gerne mit Laddy zur Hochzeit kommen würde, falls ihr das eine Hilfe wäre. Doch in ihrem Antwortbrief lehnte die Schwester dankend, aber bestimmt ab.
Die vierte Schwester schließlich, die als Krankenschwester arbeitete, ging nach Afrika. Somit waren also alle Byrne-Mädchen versorgt, sagten die Leute, und Rose würde den Hof weiterführen, bis der arme Laddy erwachsen war und ihn übernehmen konnte – falls das, mit Gottes Hilfe, je geschehen würde. Denn alle hielten Laddy für zurückgeblieben. Alle, außer Rose und Laddy selbst.
Mit sechzehn hätte Laddy eigentlich mitten in den Vorbereitungen für
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