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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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entschied sich für letzteres.
     
    Am nächsten Morgen wusch sie die gesamte Bettwäsche, verbrannte ihr Nachthemd und lüftete ihr Zimmer.
    »Shay muß gestern nacht nach oben gekommen sein«, meinte Laddy beim Frühstück.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Die Statue, die ich für dich gewonnen habe, steht auf dem Treppenabsatz. Er muß sie nach oben gebracht haben«, sagte er erfreut.
    »Ja, dann muß es wohl so gewesen sein«, pflichtete Rose ihm bei.
    Sie fühlte sich erniedrigt und elend. Shay mußte gehen, das würde sie ihm später sagen. Aber zuerst mußte sie sich für Laddy, der sich nicht abspeisen lassen würde, eine plausible Geschichte ausdenken, und auch für die Nachbarn. Mit einemmal packte sie die blanke Wut. Warum mußte eigentlich sie, Rose, die sie an der ganzen Geschichte keinerlei Schuld traf, sich eine Entschuldigung, eine Erklärung, eine Geschichte aus den Fingern saugen? Das war doch der Gipfel der Ungerechtigkeit.
    Der Tag begann wie jeder andere. Sie machte Laddy ein Pausenbrot, dann ging er zur Schule, um – wie sie jetzt wußte – Botengänge zu erledigen. Sie sammelte die Eier ein und fütterte die Hühner, während auf der Wäscheleine die Bettlaken und Kissenbezüge im Wind flatterten und die Decke auf einer Hecke ausgebreitet trocknete.
    Es hatte sich eingebürgert, daß Shay das Frühstück in seiner eigenen Wohnung einnahm, Brot, Butter und Tee. Wenn er das Angelusläuten aus der Stadt hörte, wusch er sich am Brunnen im Hof Gesicht und Hände und kam zu Rose zum Mittagessen. Es gab nicht jeden Tag Fleisch, manchmal nur Suppe. Aber immer standen eine Schüssel mit großen, mehligen Kartoffeln und ein Krug Wasser auf dem Tisch, und nach dem Essen gab es Tee. Anschließend trug Shay seinen Teller und sein Besteck zum Spülbecken und wusch es ab.
    Das Mittagessen war stets eine trostlose Angelegenheit gewesen, und manchmal hatte Rose die ganze Mahlzeit hindurch ihre Nase in ein Buch gesteckt, denn Shay war nicht sehr gesprächig. Heute allerdings machte sie kein Mittagessen. Sobald er hereinkam, würde sie ihm mitteilen, daß er gehen mußte. Aber beim Angelusläuten kam kein Shay. Dabei wußte sie, daß er den Morgen über gearbeitet hatte. Sie hatte gehört, wie er die Kühe zum Melken hereingetrieben hatte, und gesehen, daß die Milchkannen zum Abholen für die Molkerei bereitstanden.
    Rose begann sich zu fürchten. Womöglich ging er ja noch einmal auf sie los. Hatte er die Tatsache, daß sie ihn heute morgen nicht weggeschickt hatte, als Ermutigung aufgefaßt. Vielleicht hatte er gar ihre Passivität letzte Nacht für stillschweigendes Einverständnis gehalten, und dabei hatte sie lediglich Laddy vor etwas bewahren wollen, das er nicht verstanden hätte. Kein Junge in seinem Alter hätte begriffen, was da mit seiner Schwester geschah, aber Laddy ganz besonders nicht.
    Bis um zwei Uhr wuchs ihre Unruhe noch. Shay war bisher noch an jedem Tag zum Mittagessen erschienen. Lauerte er ihr etwa irgendwo auf, um sich noch einmal an ihr zu vergehen? Nun, wenn er das vorhatte, dieses Mal würde sie sich jedenfalls wehren. Draußen vor der Küchentür lehnte ein Stock mit umgebogenen Nägeln an der Wand, den sie dazu benutzten, Zweige und Äste vom Reetdach herunterzurechen. Damit würde sie sich gegen ihn verteidigen können. Sie holte den Stock in die Küche und setzte sich an den Tisch, um ihren nächsten Schritt zu planen.
    Unbemerkt öffnete er die Tür und stand plötzlich mitten in der Küche. Bevor sie zu dem Stock greifen konnte, hatte er ihn schon weggestoßen, so daß sie nicht mehr an ihn herankam. Sein Gesicht war bleich, sein Adamsapfel hüpfte auf und nieder. »Was ich gestern nacht getan habe, hätte nicht geschehen dürfen«, sagte er. Sie saß da und zitterte. »Ich war stockbesoffen, harte Sachen vertrage ich einfach nicht. Nur der Alkohol hat mich soweit getrieben.«
    Sie suchte nach den richtigen Worten, um ihn dazu zu bringen, daß er aus ihrem Leben verschwand. Gleichzeitig durfte sie ihn nicht reizen, damit er nicht noch einmal auf sie losging. Doch sie mußte feststellen, daß sie ihre Sprache noch nicht wiedergefunden hatte. Das Schweigen zwischen ihnen war eigentlich nichts Neues für sie. Stunden, Tage, Wochen ihres Lebens hatte sie in dieser Küche mit Shay Neil verbracht, ohne daß sie etwas geredet hätten, aber heute war es anders. Angst und die Erinnerung an sein Stöhnen, sein schamloses Verhalten letzte Nacht hingen schwer zwischen ihnen.
    »Ich würde

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