Die irische Signora
die letzte Nacht am liebsten ungeschehen machen«, sagte er schließlich.
»Ich auch, bei Gott«, entgegnete sie. »Aber da es nun mal …« Nun konnte sie es sagen, nun konnte sie ihn aus ihrem Haus verjagen.
»Aber da es nun mal passiert ist«, fuhr er fort, »finde ich, ich sollte nicht mehr hier im Haus mit Ihnen zu Mittag essen. Von nun an koche ich mir selbst, drüben bei mir. Das wäre wohl das beste.«
Er wollte tatsächlich hierbleiben, nach allem, was zwischen ihnen geschehen war. Nachdem er einen Mitmenschen auf die intimste und schrecklichste Weise mißbraucht hatte. Und er glaubte tatsächlich, das könne er einfach abhaken durch eine simple Änderung der Essensordnung. Der Mann war wohl nicht ganz richtig im Kopf.
Sie antwortete sanft und wohlüberlegt. Ihre Angst durfte man ihr keinesfalls anhören. »Nein, Shay, ich glaube nicht, daß das genügen wird. Ich fände es wirklich besser, wenn Sie gehen würden. Wir könnten das, was passiert ist, nicht wirklich vergessen. Sie sollten irgendwo anders noch einmal neu anfangen.«
Ungläubig sah er sie an. »Ich kann nicht weggehen«, sagte er.
»Sie werden schon etwas finden.«
»Ich kann nicht gehen, ich liebe Sie«, sagte er.
»Reden Sie keinen Unsinn.« Nun war sie verärgert und fürchtete sich noch mehr als zuvor. »Sie lieben weder mich noch sonst jemanden. Was Sie getan haben, hatte mit Liebe nichts zu tun.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß das nur am Alkohol lag. Ich liebe Sie ehrlich.«
»Sie werden gehen müssen, Shay.«
»Ich kann Sie nicht verlassen. Was soll denn aus Ihnen und Laddy werden, wenn ich gehe?«
Und er drehte sich um und verließ die Küche.
»Warum ist Shay nicht zum Mittagessen hereingekommen?« wollte Laddy am Samstag wissen.
»Er möchte lieber allein essen. Er hat gesagt, er braucht seine Ruhe«, entgegnete Rose.
Sie hatte seitdem nicht wieder mit Shay gesprochen. Die Arbeit wurde getan wie immer. Der Zaun um den Obstgarten war repariert worden. Und an der Küchentür hatte er einen neuen Riegel angebracht, damit sie nachts von innen zuschließen konnte.
Mit Tripper, dem alten Collie, ging es zu Ende.
Laddy war sehr bekümmert. Er streichelte den Kopf des Hundes und versuchte, ihm löffelweise Wasser einzuflößen. Manchmal schlang er die Arme um den Hals des Tiers und weinte. »Werde wieder gesund, Tripper. Ich kann nicht mehr mit anhören, wie du röchelst.«
»Rose?« Zum erstenmal seit Wochen sprach Shay sie an.
Sie zuckte zusammen. »Was?«
»Ich finde, ich sollte Tripper mit auf den Acker hinausnehmen und ihn erschießen. Was denken Sie?« Zusammen betrachteten sie den Hund, der pfeifend atmete.
»Wir müssen zuerst Laddy fragen.« Laddy wollte an jenem Tag nach der Schule ein kleines Steak beim Metzger kaufen, das würde Tripper vielleicht wieder auf die Beine bringen. Dabei würde das Tier nie wieder ein Steak oder irgend etwas anderes fressen können, aber das wollte Laddy nicht wahrhaben.
»Soll ich ihn fragen?«
»Tun Sie das.«
Er wandte sich um und ging. An jenem Abend hob Laddy für Tripper ein Grab aus, und sie trugen ihn hinaus auf den Acker. Shay hielt ihm ein Gewehr an die Schläfe. Nach einer Sekunde war alles vorbei. Laddy zimmerte ein kleines Holzkreuz, und die drei standen schweigend um den kleinen Erdhügel. Dann ging Shay in seine Wohnung zurück.
»Du bist so still, Rose«, sagte Laddy. »Ich glaube, weil du Tripper genauso liebgehabt hast wie ich.«
»O ja, das habe ich, ganz bestimmt«, sagte sie.
Aber Rose war still, weil ihre Periode ausgeblieben war. Es war das erstemal, daß ihr so etwas passierte.
In der folgenden Woche machte sich Laddy Sorgen. Etwas stimmte nicht mit Rose, und das konnte nicht nur daran liegen, daß sie Tripper vermißte.
Im Irland der fünfziger Jahre blieben ihr drei Möglichkeiten: Sie konnte das Kind bekommen und weiter auf dem Hof leben, mit Schande beladen, den anzüglichen Bemerkungen der Gemeindemitglieder ausgeliefert. Sie konnte den Bauernhof verkaufen und mit Laddy wegziehen, irgendwohin, wo niemand sie kannte, und dort noch einmal von vorne anfangen. Oder sie konnte Shay Neil vor den Traualtar schleppen und seine Frau werden.
Jede dieser Möglichkeiten hatte einen Haken. Den Gedanken daran, nach all den Jahren ihren guten Ruf zu verlieren und als ledige Mutter eines Kindes zu gelten, das keinen rechtmäßigen Vater hatte, konnte sie nicht ertragen. Dann wäre es vorbei mit den wenigen Vergnügungen, die sie im Leben hatte,
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