Die irische Signora
»Es liegt einfach an der schlechten Qualität! Ich meine, ich kann doch nicht so dick sein, daß er platzt. Das gibt es doch nicht.«
»Da hast du recht«, log Fiona. Da kam ihr der Gedanke, daß Brigid sie vielleicht auch anlog. »Ich bin tatsächlich langweilig«, stellte Fiona in einem blitzartigen Augenblick der Selbsterkenntnis fest.
»Fiona, du bist schlank, und ist das nicht alles, worauf es in dieser blöden Welt ankommt? Rede nicht dauernd davon, daß du langweilig bist, denn du warst es nicht, bis du mit diesem Gejammer darüber angefangen hast.« Angesichts der unbestreitbaren Tatsache, daß sie zugenommen hatte, konnte Brigid wenig Verständnis für die Klagen ihrer Freundin aufbringen.
»Ich habe da so einen Jungen getroffen, und kaum kannte er mich zwei Minuten, fing er an zu gähnen und ließ mich stehen«, erzählte Fiona tieftraurig.
Brigid rang sich durch, Anteilnahme zu zeigen. »Wo hast du ihn getroffen?«
»In der Arbeit, seine Mutter war in der Notaufnahme.«
»Na, meine Güte, seine Mutter ist wahrscheinlich niedergeschlagen worden oder so, und da erwartest du von ihm, daß er mit dir flirtet? Jetzt mach aber einen Punkt, Fiona.«
Fiona war noch nicht völlig überzeugt. »Er lernt Italienisch in der Schule, wo dein Vater unterrichtet.«
»Gut! Zum Glück haben sich ein paar Leute gefunden. Man hat schon befürchtet, daß der Kurs mangels Teilnehmer abgeblasen werden muß. Mein Vater war deswegen den ganzen Sommer über auf Achse.«
»Natürlich ist es die Schuld meiner Eltern. Ich kann ja nur langweilig sein, weil sie nie über irgendwas reden. Bei uns zu Hause finden nie irgendwelche Diskussionen statt, es gibt einfach keine Gesprächsthemen. Was hat man da noch zu sagen, wenn man das jahrelang mitgemacht hat?«
»Ach, hör doch auf, Fiona. Du bist nicht langweilig, und Eltern haben sich nie etwas zu sagen. Bei meinen ist es Jahre her, daß sie sich über etwas unterhalten haben. Dad geht nach dem Abendessen immer in sein Zimmer und verbringt dort den ganzen Abend. Mich wundert es bloß, daß er nicht auch dort schläft. Er hockt an seinem kleinen Schreibtisch und betrachtet die Bücher und die italienischen Teller und die Bilder an der Wand. An sonnigen Abenden sitzt er auf dem Sofa vor dem Fenster und starrt nur vor sich hin.
Das
nenne ich langweilig.«
»Worüber soll ich mit ihm reden, wenn ich ihn jemals wiedersehe?« fragte Fiona.
»Meinen Vater?«
»Nein, den Jungen mit den struppigen Haaren.«
»Mein Gott, du könntest ihn zum Beispiel fragen, wie es seiner Mutter geht. Soll ich etwa mitgehen und mich neben dich setzen und dir soufflieren: ›Jetzt sprechen, jetzt nicken‹?«
»Das wäre vielleicht nicht das Schlechteste … Hat dein Vater ein Italienischwörterbuch?«
»Er hat bestimmt zwanzig. Warum?«
»Ich möchte die Wochentage nachschlagen«, erklärte Fiona in einem Ton, als hätte Brigid eigentlich selbst darauf kommen können.
»Ich war heute abend bei den Dunnes«, erzählte Fiona zu Hause.
»Schön«, meinte ihre Mutter.
»Ich würde mich dort aber nicht allzuoft blicken lassen. Es soll ja keiner denken, du würdest bei ihnen ein und aus gehen«, warnte sie ihr Vater.
Fiona fragte sich, was er damit meinte. Sie war doch seit Wochen nicht mehr dort gewesen. Wenn ihre Eltern nur wüßten, wie oft die Dunne-Mädchen angeblich hier bei
ihnen
übernachteten! Dann würde es wirklich Ärger geben.
»Findet ihr Brigid eigentlich hübsch?« fragte sie.
»Ich weiß nicht. Schwer zu sagen«, erwiderte ihre Mutter.
Ihr Vater las Zeitung.
»Weißt du es wirklich nicht? Angenommen, du begegnest ihr irgendwo, würdest du dann sagen, das ist ein gutaussehendes Mädchen?«
»Darüber müßte ich erst nachdenken«, meinte ihre Mutter.
In jener Nacht lag Fiona lange wach und grübelte.
Wie kam es, daß Grania und Brigid Dunne so zuversichtlich und selbstsicher waren? Sie stammten aus ähnlichen Verhältnissen, waren auf dieselbe Schule gegangen. Doch im Unterschied zu Fiona war Grania mutig wie eine Löwin. Sie hatte jetzt schon seit einer ganzen Weile ein Verhältnis mit einem Mann, einem ziemlich alten Mann. Ein ewiges Hin und Her, aber es war die große Liebe. Und nun wollte sie es ihren Eltern sagen und ihnen eröffnen, daß sie zu ihm ziehen und ihn sogar heiraten würde.
Das wirklich Schreckliche daran war allerdings, daß ihr Auserwählter Mr. Dunnes Vorgesetzter war. Und daß Mr. Dunne ihn nicht leiden konnte. Grania wußte nicht, ob sie so tun
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