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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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die blassen, bekümmerten Gesichter der Leute, die auf ihren Behandlungstermin warteten, die Besucher, die zu einem Patienten kamen, der nicht mehr gesund werden würde, die unruhigen, lärmenden Kinder, die spürten, daß etwas nicht stimmte, auch wenn sie nicht wußten, was es war.
    Gelegentlich geschahen auch erfreuliche Dinge. So stürmte einmal ein Mann in die Cafeteria und rief: »Ich habe keinen Krebs, ich habe keinen Krebs!« Er küßte Fiona und schüttelte den anderen Leuten im Raum die Hände. Das war natürlich schön für ihn, und alle lächelten ihm zu. Doch so mancher von denen, die lächelten, hatte tatsächlich Krebs, und daran hatte der Mann nicht gedacht. Und obwohl einige dieser Krebspatienten auf dem Weg der Besserung waren, vergaßen sie angesichts seiner Freude, daß sie selbst wieder gesund werden konnten, und beneideten ihn um sein Glück.
    Tee, Kaffee und Kekse mußten natürlich bezahlt werden, aber Fiona wußte, daß man jemandem, der sehr hinfällig wirkte, nicht auch noch Geld abverlangen konnte. Wer gerade einen schweren Schicksalsschlag erlebt hatte, bekam ohne große Umstände einen Becher heißen, gesüßten Tee in die Hand gedrückt. Fiona hielt zwar nicht viel von den Pappbechern, aber bei der zahlreichen Kundschaft hätte man die Tag für Tag anfallenden Tassen und Unterteller unmöglich abspülen können. Viele ihrer Gäste kannten sie namentlich und plauderten gern mit ihr, einfach um einmal auf andere Gedanken zu kommen.
    Fiona war ein heiterer Mensch, immer gut gelaunt, genau das, was die Leute hier brauchten. Sie war ein kleines, elfenhaftes Mädchen mit dicken Brillengläsern, die ihre Augen noch größer wirken ließen, als sie ohnehin schon waren. Ihr Haar hatte sie stets mit einer bauschigen Schleife zusammengebunden. Da es in dem Warteraum immer warm war, trug sie einen kurzen schwarzen Rock und T-Shirts. Sie hatte sich T-Shirts gekauft, auf denen die Wochentage standen, was bei den Gästen gut ankam. »Ich weiß nie, welcher Wochentag gerade ist, bis ich auf Fionas T-Shirt schaue«, meinten die einen. »Zum Glück steht nicht nur Januar, Februar, März drauf«, sagten andere. Fiona und ihre Wochentage sorgten immer für Gesprächsstoff.
    Manchmal stellte sich Fiona in ihren Wunschträumen vor, einer der gutaussehenden Ärzte würde bei ihr vorbeikommen, ihr tief in die großen Augen blicken und sagen, sie sei das Mädchen, nach dem er sein Leben lang gesucht habe.
    Aber so etwas passierte nicht. Und Fiona wurde klar, daß es wahrscheinlich auch nie geschehen würde. Denn die Ärzte verkehrten unter ihresgleichen, unter Arztkollegen, Arzttöchtern, schicken Leuten. Einem Mädchen im T-Shirt, das Kaffee in Pappbechern verkaufte, würden sie nie tief in die Augen schauen. Hör auf zu träumen, ermahnte sie sich.
     
    Fiona war zwanzig und ziemlich desillusioniert, was Männerbekanntschaften anging. Es war einfach nicht ihre Stärke. Ihre Freundinnen Grania und Brigid Dunne dagegen brauchten nur vor die Tür zu gehen und lernten schon jemanden kennen, mit dem sie vielleicht auch die Nacht verbrachten. Fiona wußte das, weil sie oft als Alibi herhalten mußte. »Ich übernachte bei Fiona«, lautete die Standardausrede der beiden Dunne-Mädchen.
    Von all dem wußte Fionas Mutter nichts, und sie hätte es auch nicht gebilligt. Fionas Mutter vertrat nämlich ziemlich rigoros die Ansicht, ein anständiges Mädchen habe damit bis zur Hochzeit zu warten. Fiona fiel auf, daß sie selbst überhaupt keine feste Meinung dazu hatte. Theoretisch dachte sie zwar, wenn man jemanden liebte und dieses Gefühl erwidert wurde, sollte man eine richtige Beziehung haben. Da sich die Frage jedoch für sie noch nie gestellt hatte, hatte sie ihre Theorie nie in der Praxis erproben können.
    Manchmal betrachtete sie sich im Spiegel und fand sich eigentlich ganz attraktiv. Sie mochte ein bißchen klein sein, und daß sie eine Brille tragen mußte, war sicher auch nicht vorteilhaft, aber die Leute sagten, die Brille stehe ihr, sie sei richtig süß. Oder war das nur als Trost gemeint, weil sie in Wirklichkeit dämlich damit aussah? Schwer zu sagen.
    Grania Dunne meinte zu ihr, das sei alles Blödsinn, sie sei wirklich recht hübsch. Aber in letzter Zeit war Grania nie so ganz bei der Sache, denn dieser Mann, der so alt war wie ihr Vater, hatte ihr völlig den Kopf verdreht. Fiona konnte das nicht begreifen. Warum hatte Grania sich bloß in diesen alten Knacker verknallt, wo sie doch an jedem Finger

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