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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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dann wäre Schluß. Aber das war schon vor einer ganzen Weile gewesen. Wenn er dieses Thema jetzt zur Sprache brachte, wollte sie sich nicht mehr so genau festlegen. »Mal angenommen, du würdest jetzt schwanger werden«, hatte Bill eines Abends gemeint. »Dann müßten wir unsere Zukunftspläne ein bißchen vorantreiben.«
    »Völlig falsch, Süßer«, hatte sie entgegnet. »Dann müßten wir alle unsere Pläne aufgeben.«
    Und da hatte er zum erstenmal eine gewisse Härte in ihrem lächelnden Gesicht bemerkt. Aber er maß diesem Eindruck keine Bedeutung bei. Bill wußte, daß Lizzie nicht hart war. Sie hatte lediglich, wie alle anderen Frauen auch, Angst vor den Gefahren und Unwägbarkeiten des weiblichen Körpers. Das hatte die Natur nicht gerade gerecht verteilt. Frauen konnten bei der Liebe nie so richtig entspannt sein, denn sie mußten immer damit rechnen, daß es zu einer ungewollten Schwangerschaft kam.
    Da Olive nicht gut zu Fuß war und ihre Mutter ohnehin die Kirche besichtigen wollte, spazierten Bill und sein Vater allein die Vico Road entlang, die sich anmutig an der Bucht entlangschlängelte. Die Bucht wurde oft mit dem Golf von Neapel verglichen, und viele Straßen im Ort hatten italienische Namen wie Vico oder Sorrento, und es gab Häuser, die La Scala, Milano oder Ancona hießen. Die Menschen hatten Erinnerungen an ähnliche Küstenansichten von ihren Reisen mitgebracht, und angeblich war die italienische Küste ebenso hügelig wie der Küstenstreifen hier.
    Bill und sein Vater sahen sich die Häuser und Gärten an und bewunderten sie ohne Neid. Wäre Lizzie dabeigewesen, hätte sie darüber geklagt, wie ungerecht es doch sei, daß manche Leute solche Häuser mit zwei großen Autos davor hatten. Bill jedoch, der Bankangestellte, und sein Vater, der tagtäglich mit Plastik- handschuhen Speck aufschnitt, ihn in kleine, durchsichtige Beutel steckte und abwog, konnten sich diese Besitztümer ansehen, ohne sie für sich selbst haben zu wollen.
    Die Sonne schien, und sie hatten eine gute Fernsicht. Draußen auf dem glitzernden Wasser lagen ein paar Jachten. Die beiden setzten sich auf die Mauer, und Bills Vater zündete sich eine Pfeife an.
    »Ist in deinem Leben alles so gekommen, wie du es dir gewünscht hast, als du jung warst?« wollte Bill wissen.
    »Nicht alles, natürlich, aber das meiste schon.« Sein Vater sog an seiner Pfeife.
    »Und was zum Beispiel?«
    »Na, daß ich so eine gute Stelle habe und sie trotz allem auch behalten kann. Das ist für mich nichts Selbstverständliches. Und daß deine Mutter mich geheiratet hat und mir so eine gute Ehefrau und außerdem eine wundervolle Hausfrau ist. Und ihr natürlich, Olive und du, ihr seid ein großer Segen für uns.«
    Bill verschlug es beinahe den Atem. Sein Vater lebte völlig in einer Traumwelt. All diese Dinge sollten ein Segen sein? Etwas, worüber man sich freute? Eine zurückgebliebene Tochter? Eine Frau, die kaum ein Spiegelei braten konnte und für ihn trotzdem eine wundervolle Hausfrau war? Eine Arbeit, die kein anderer mit seinen Fähigkeiten annehmen und so gut erledigen würde …
    »Dad, warum bin ich für dich ein Segen?« fragte Bill.
    »Jetzt hör aber auf, du willst doch bloß gelobt werden.« Sein Vater grinste ihn an, als ob der Junge sich einen Scherz erlaubt hätte.
    »Nein, ich wollte wissen, was dir an mir gefällt.«
    »Wer könnte einen besseren Sohn haben? Schau mal, du lädst uns alle zu diesem Ausflug heute ein, von deinem schwer verdienten Geld. Du trägst auch einiges zum Haushalt bei. Und du bist so nett zu deiner Schwester.«
    »Jeder mag Olive.«
    »Ja, das ist wahr, aber du bist besonders lieb zu ihr. Deine Mutter und ich brauchen uns deshalb keine Sorgen zu machen. Wir wissen, daß du dich einmal um Olive kümmern wirst, wenn unsere Zeit abgelaufen ist und wir auf dem Glasnevin-Friedhof liegen.«
    Bill erkannte seine eigene Stimme nicht, als er antwortete: »Ach, um Olive wird sich immer jemand kümmern. Darüber macht ihr euch doch keine Sorgen, oder?«
    »Natürlich, es gibt jede Menge Heime und Einrichtungen, aber wir wissen genau, daß du Olive niemals an so einen Ort geben würdest.«
    Und als sie so in der Sonne saßen und das Meer unter ihnen schimmerte, kam eine kleine Brise auf, die wie ein frischer Wind in die Welt seiner Gedanken fuhr. Auf einmal fiel es Bill wie Schuppen von den Augen, was ihm in den dreiundzwanzig Jahren seines Lebens nie bewußt gewesen war: daß Olive auch sein Problem war, nicht

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