Die irische Signora
Hier hatte sich jemand ungeheuer viel Mühe gegeben.
Bill hoffte, daß alles gutgehen würde. Er hoffte es für die seltsame Frau mit der merkwürdigen Haarfarbe, rot mit grauen Strähnen, die Frau, die alle nur die Signora nannten. Und für den netten Mann, der immer nur herumstand und sich im Hintergrund hielt – offenbar war es Granias Vater. Für alle die Leute, die unsicher und nervös dasaßen und darauf warteten, daß es endlich anfing. Jeder von ihnen hatte einen Traum oder eine Hoffnung wie er. Aber keiner machte den Eindruck, als strebte er eine internationale Bankkarriere an.
Die Signora klatschte in die Hände und stellte sich vor. »
Mi chiamo Signora. Come si chiama
?« fragte sie den Mann, der Granias Vater sein mußte.
»
Mi chiamo Aidan
«, antwortete er. Und so ging es weiter im ganzen Klassenzimmer herum.
Lizzie war entzückt. »
Mi chiamo Lizzie
«, rief sie, und alle lächelten anerkennend, als hätte sie eben eine Meisterleistung vollbracht.
»Versuchen wir doch, unseren Namen eine italienische Note zu geben. Sie könnten zum Beispiel sagen: ›
Mi chiamo Elisabetta
.‹«
Lizzies Entzücken steigerte sich derart, daß sie kaum noch aufhören wollte, auch das ständig vor sich hin zu plappern.
Dann schrieb jeder
Mi chiamo
und seinen Namen auf ein großes Stück Papier und heftete es sich an. Und sie lernten, die anderen nach ihrem Befinden, der Uhrzeit, dem Wochentag, dem Datum und ihrer Adresse zu fragen.
»
Chi è
?« fragte die Signora und zeigte dabei auf Bill.
»
Guglielmo
«, gab die Klasse im Chor zurück.
Nach kurzer Zeit kannten sie bereits von jedem den italienischen Namen, und die Klasse hatte sich sichtlich entspannt. Die Signora verteilte Blätter. Darauf standen alle Sätze, die sie der Signora bisher nachgesprochen hatten. Allerdings wäre ihnen die richtige Aussprache bedeutend schwerer gefallen, wenn man ihnen zuerst die geschriebene Version vorgelegt hätte.
Wieder und wieder wurden die Sätze durchgegangen – welcher Tag ist heute, wie spät ist es, wie heißen Sie – und die Antworten gegeben. Am Ende schienen die Kursteilnehmer sehr zufrieden mit sich.
»
Bene
«, sagte die Signora schließlich. »Jetzt haben wir noch zehn Minuten.« Da verschlug es ihnen beinahe den Atem. Die zwei Stunden konnten doch nicht schon vorbei sein. »Sie alle haben eifrig mitgearbeitet, deshalb gibt es gleich eine kleine Belohnung. Aber bevor wir die Salami und den
formaggio
essen, müssen wir lernen, wie man sie ausspricht.«
Wie Kinder stürzten sich die dreißig Erwachsenen auf die Wurst und den Käse, nachdem sie die richtige Aussprache wiederholt hatten.
»
Giovedi
«, sagte die Signora.
»
Giovedi
«, ertönte es im Chor. Als Bill anfing, die Stühle ordentlich an der Wand zu stapeln, warf die Signora Granias Vater einen Blick zu, als wolle sie wissen, ob das nötig sei. Er nickte stumm. Dann schlossen sich die anderen an. Nach wenigen Minuten war das Klassenzimmer aufgeräumt. Der Hausmeister würde hier nicht mehr viel zu tun haben.
Bill und Lizzie gingen zusammen zur Bushaltestelle.
»
Ti amo
«, sagte sie plötzlich zu ihm.
»Was heißt das denn?« wollte er wissen.
»Ach, komm, du bist doch hier die Intelligenzbestie«, entgegnete Lizzie. Ihr Lächeln brach ihm schier das Herz. »Rate doch mal.
Ti
… was heißt das?«
»Das heißt ›dich‹, glaube ich«, entgegnete Bill.
»Und was heißt ›
amo
‹?«
»Vielleicht Liebe?«
»Es bedeutet ›ich liebe dich‹!«
»Woher weißt du das?« Er war verblüfft.
»Ich habe sie gerade gefragt, bevor wir gegangen sind. Sie hat gemeint, es sind die zwei schönsten Worte der Welt.«
»Ja, allerdings«, sagte Bill.
Vielleicht würde der Italienischkurs doch ein Erfolg werden.
»Ungelogen, es war einfach großartig«, berichtete Bill Grania am nächsten Tag.
»Mein Vater war in Hochstimmung, als er nach Hause kam, Gott sei Dank«, meinte Grania.
»Und sie ist wirklich gut. Weißt du, sie gibt einem das Gefühl, als würde man die Sprache schon nach fünf Minuten beherrschen.«
»Dann wirst du also bald die italienische Abteilung leiten«, neckte ihn Grania.
»Sogar Lizzie hat es gefallen, sie war tatsächlich interessiert. Im Bus hat sie die Übungssätze ständig wiederholt, und alle haben mitgemacht.«
»Das kann ich mir vorstellen«, meinte Grania schnippisch.
»Ach, sei doch nicht so. Sie war aufmerksamer bei der Sache, als ich gedacht hätte. Sie nennt sich jetzt Elisabetta«, erklärte Bill
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