Die irische Signora
ihres Gedächtnisses.«
»Muß euch Fiona oft decken?«
»Mich nicht mehr seit …, nun, seit dieser ewig zurückliegenden Nacht mit Tony. Weißt du, gleich am nächsten Tag habe ich herausgefunden, daß er so hinterhältig war und meinem Vater die Stelle weggeschnappt hat. Habe ich dir davon erzählt?«
Das hatte sie, schon viele Male, aber Bill blieb geduldig. »Ich glaube, du hast gesagt, daß der Zeitpunkt ungünstig war.«
»Ja, er hätte nicht schlechter sein können«, schnaubte Grania. »Wenn ich es eher gewußt hätte, hätte ich ihm nicht einmal guten Tag gesagt, und wenn ich es erst später erfahren hätte, wäre unsere Beziehung vielleicht schon so eng gewesen, daß es kein Zurück mehr gegeben hätte.« Sie ärgerte sich maßlos über die Ungerechtigkeit des Schicksals.
»Angenommen, du würdest dich entschließen, wieder zu ihm zurückzugehen. Würde das deinem Vater den Rest geben?«
Grania musterte ihn mit durchdringendem Blick. Konnte Bill etwa hellsehen, oder woher sonst wußte er, daß sie sich die ganze letzte Nacht im Bett hin und her gewälzt und darüber nachgedacht hatte, ob sie mit Tony O’Brien noch einmal Kontakt aufnehmen sollte? Tony hatte sie mit seinen Postkarten dazu ermuntert, er hatte ihr den Ball zugeworfen. Im Grunde war es sogar unhöflich, ihm nicht in irgendeiner Weise zu antworten. Doch dann dachte sie wieder daran, wie schlimm es für ihren Vater wäre. Er war sich so sicher gewesen, daß
er
den Direktorenposten bekommen würde; es mußte ihm mehr bedeutet haben, als er sich hatte anmerken lassen. »Nun, ich habe tatsächlich darüber nachgedacht«, entgegnete Grania zögernd. »Und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß ich besser noch ein Weilchen warten sollte, bis bei meinem Vater wieder alles im Lot ist. Dann ist er vielleicht eher in der Lage, so etwas zu verkraften.«
»Spricht er sich mit deiner Mutter aus, was meinst du?«
Grania schüttelte den Kopf. »Sie reden kaum noch miteinander. Für meine Mutter zählen nur noch das Restaurant und die Besuche bei ihren Schwestern. Und Dad verbringt die meiste Zeit damit, sich eine Art Arbeitszimmer einzurichten. Er ist in letzter Zeit ziemlich einsam, und ich würde es nicht übers Herz bringen, ihn noch mehr zu belasten. Aber vielleicht, wenn der Abendkurs ein Riesenerfolg wird und er das Lob dafür erntet … dann könnte ich ihm reinen Wein einschenken. Falls ich mich wieder darauf einlassen will, natürlich.«
Bill warf Grania einen bewundernden Blick zu. Genau wie er war auch sie selbstbewußter als ihre Eltern, und sie wollte ihnen ebenfalls keinen Kummer bereiten. »Wir haben so viele Gemeinsamkeiten«, sagte er unvermittelt. »Ist es nicht schade, daß wir nicht ineinander verliebt sind?«
»Ich weiß, Bill.« Grania seufzte aus tiefstem Herzen. »Dabei siehst du unheimlich gut aus, besonders in deinem neuen Jackett. Du hast wundervoll glänzendes braunes Haar und bist jung, und du wirst nicht schon tot sein, wenn ich vierzig bin. Wie blöd, daß wir nicht ineinander verliebt sind, aber ich bin’s nicht, nicht das kleinste bißchen.«
»Ich weiß«, sagte Bill. »Ich auch nicht. Ist das nicht zum Heulen?«
Um seiner Familie eine Freude zu machen, wollte er mit ihr einen Ausflug ans Meer unternehmen und sie dort zum Essen einladen. Also fuhren sie eines Sonntags mit dem Zug an die Küste.
Kaum angekommen, spazierten sie hinunter zum Meer, um sich den Hafen und die Fischerboote anzusehen. Es waren immer noch Sommergäste da und Touristen mit Fotoapparaten. Sie schlenderten die zugige Hauptstraße des Küstenstädtchens entlang und betrachteten die Schaufenster. Bills Mutter meinte, es müsse herrlich sein, an einem Ort wie diesem zu leben.
»Als wir noch jung waren, hätte jeder es sich leisten können, hier draußen zu wohnen«, erklärte Bills Vater. »Aber für damalige Verhältnisse war diese Gegend ziemlich abgelegen, und die besseren Stellen gab es in der Nähe der Stadt. Deshalb sind wir nicht hierhergezogen.«
»Vielleicht wird Bill ja eines Tages an so einem Ort wohnen, wenn er befördert worden ist«, überlegte seine Mutter hoffnungsvoll.
Bill versuchte sich vorzustellen, wie er hier in einer Neubauwohnung oder in einem der alten Häuser zusammen mit Lizzie wohnte. Was würde sie den ganzen Tag lang machen, wenn er mit dem Zug nach Dublin gependelt war? Würde sie auch hier draußen schnell Freunde finden? Würden sie Kinder haben? Sie hatte einmal gesagt, einen Jungen und ein Mädchen,
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