Die irische Signora
»Und was ist mit dem
vino
?« fragte jemand.
»Ich hätte gerne
vino
mitgebracht,
vino rosso, vino bianco
. Aber wie Sie wissen, sind wir hier in einer Schule, und Alkohol ist auf dem Schulgelände verboten. Um den Kindern kein schlechtes Beispiel zu geben.«
»Das kommt für die Leute hier wohl ein bißchen spät«, warf Lou ein.
Bill musterte ihn aufmerksam. Es war völlig unbegreiflich, warum ein Mann wie er Italienisch lernte. Obwohl es bei allen Kursteilnehmern schwer zu erraten war, was sie hierhergeführt hatte, und sich wahrscheinlich auch bei Lizzie einige wunderten, schien es für Lou – oder Luigi – keinen plausiblen Grund zu geben, warum er zwei Abende in der Woche in einem Kurs zubrachte, dem er offensichtlich nicht das geringste abgewinnen konnte, denn er machte von Anfang bis Ende ein finsteres Gesicht. Bill beschloß, es als eines der wundersamen Dinge zu betrachten, an denen das Leben so reich war.
Eine der Papierblumen lag zerrissen auf dem Boden.
»Kann ich die haben, Signora?« fragte Bill.
»
Certo, Guglielmo
. Ist sie für
la bellissima Elisabetta
?«
»Nein, für meine Schwester.«
»
Mia sorella, mia sorella
, meine Schwester«, sagte die Signora. »Sie sind ein freundlicher, gütiger Mensch, Guglielmo.«
»Ja, aber was hat man heutzutage schon davon?« erwiderte Bill, ehe er zur Bushaltestelle hinausging.
Olive erwartete ihn an der Tür. »Sag etwas auf italienisch«, schrie sie ihm entgegen.
»
Ciao, sorella
«, sagte er. »Hier ist ein
garofano
für dich. Den habe ich dir mitgebracht.«
Ihr glücklicher Gesichtsausdruck verstärkte seine Niedergeschlagenheit noch, und dabei hatte er sich schon vorher ziemlich elend gefühlt.
Diese Woche nahm Bill belegte Brote mit zur Arbeit. Er konnte sich nicht einmal mehr die Kantine leisten.
»Ist alles in Ordnung?« erkundigte sich Grania besorgt. »Du siehst müde aus.«
»Oh, als angehendes Sprachgenie hat man’s eben nicht leicht, aber daran muß man sich gewöhnen«, meinte er mit einem matten Lächeln.
Er sah es Grania an, daß sie nach Lizzie fragen wollte, es sich aber doch anders überlegte. Lizzie? Wo war sie heute wohl? Vielleicht trank sie mit den Freunden ihrer Mutter Cocktails in einem der großen Hotels. Oder sie trieb sich irgendwo in Temple Bar herum und entdeckte ein neues Lokal, von dem sie ihm mit glänzenden Augen berichten würde. Er wünschte, sie würde ihn anrufen und mit ihm sprechen, ihn nach dem Kurs gestern abend fragen. Dann würde er ihr erzählen, wie sehr man sie dort vermißt hatte und daß man sie
la bella Elisabetta
genannt hatte. Und daß er selbst einen Satz formuliert hatte, nämlich daß sie zum Bahnhof gefahren sei, um ihre Mutter abzuholen. Und sie würde ihm ihre Unternehmungen schildern. Warum herrschte jetzt Funkstille?
Der Nachmittag erschien ihm lang und öde. Nach der Arbeit machte er sich allmählich Sorgen. Normalerweise verging kein Tag, an dem sie nicht wenigstens miteinander telefonierten. Sollte er bei ihr in der Wohnung vorbeischauen? Aber wenn sie gerade ihre Mutter zu Besuch hatte, konnte das aufdringlich wirken. Sie hatte zwar gesagt, sie hoffe, daß er sie kennenlernen würde. Aber man durfte es nicht übers Knie brechen.
Auch Grania blieb länger in der Arbeit. »Wartest du auf Lizzie?« erkundigte sie sich.
»Nein. Ihre Mutter ist in der Stadt, da hat sie wahrscheinlich keine Zeit. Ich überlege nur gerade, was ich tun könnte.«
»Ich auch. Die Arbeit in der Bank macht doch einen Mordsspaß, findest du nicht? Am Abend ist man dermaßen ausgelaugt, daß man gar nichts mehr mit sich anzufangen weiß«, lachte Grania.
»Aber du bist doch immer auf Achse, Grania«, meinte Bill neidisch.
»Nun, heute abend nicht. Ich habe keine Lust, nach Hause zu gehen. Meine Mutter ist schon auf dem Weg ins Restaurant, mein Vater hat sich in sein Arbeitszimmer verzogen, und Brigid führt sich auf wie eine Verrückte, weil sie schon wieder zugenommen hat. Sie trampelt auf der Waage herum und behauptet, im ganzen Haus würde es nach Bratfett riechen, und redet jeden Abend fünf Stunden lang nur übers Essen. Wenn man ihr länger zuhört, kann man davon graue Haare kriegen.«
»Ist das wirklich ein Problem für sie?« Bill interessierte sich stets für die Sorgen seiner Mitmenschen.
»Ich weiß es nicht. Für mich sieht sie immer gleich aus, ein bißchen stämmig, aber attraktiv. Mit gepflegten Haaren und einem Lächeln im Gesicht sieht sie so gut aus wie jede andere, aber sie
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