Die irische Signora
Lebensgrundsatz vielleicht doch seine Vorteile.
Lizzie knabberte an einem Keks. »Die sind herrlich«, sagte sie. »Man schmeckt die Butter richtig heraus.« Wie liebenswert sie war, wie ein kleines Kind. Warum fiel ihrer Mutter das nicht auch auf?
Bill sah von einer zur anderen. Bildete er es sich ein, oder entspannte sich die Miene von Lizzies Mutter tatsächlich ein wenig?
»Es ist nicht immer einfach, Lizzie, als Frau so ganz allein«, fing sie an.
»Aber du brauchtest nicht allein zu sein, Mummy. Du hättest uns alle bei dir haben können, Dad und mich und John und Kate.«
»Ich konnte nicht so leben, den ganzen Tag eingesperrt in diesem Haus, und darauf warten, daß der Mann heimkommt und die Lohntüte abliefert. Und oft ist dein Vater mit dem Lohn nicht heimgekommen, sondern hat ihn ins Wettbüro getragen. So wie er es jetzt immer noch macht, drüben in Galway.«
»Du brauchtest nicht wegzugehen.«
»Doch, denn sonst hätte ich jemanden umgebracht, ihn, dich oder mich. Manchmal ist es besser, wegzugehen und sich ein bißchen Luft zum Atmen zu verschaffen.«
»Wann sind Sie eigentlich weggegangen?« fragte Bill in leichtem Konversationston, als erkundigte er sich nach den Abfahrtszeiten von Zügen.
»Wissen Sie das etwa nicht? Kennen Sie die Geschichte von der bösen Hexe, die davongelaufen ist und alle im Stich gelassen hat, nicht in allen Einzelheiten?«
»Nein, davon weiß ich nichts. Bis zu diesem Augenblick war mir nicht klar, daß Sie überhaupt weggelaufen sind. Ich dachte immer, Sie und Mr. Duffy hätten sich freundschaftlich getrennt, und von den Kindern wäre jedes seiner Wege gegangen. Mir erschien das als etwas sehr Vernünftiges, was alle Familien machen sollten.«
»Was meinen Sie damit, daß es alle Familien so machen sollten?« Lizzies Mutter musterte ihn argwöhnisch.
»Nun, wissen Sie, ich lebe zu Hause mit meinen Eltern und meiner behinderten Schwester, und ehrlich gesagt sehe ich keine Möglichkeit, jemals
nicht
dort oder wenigstens in der Nähe zu sein. In Lizzies Familie, habe ich mir dann gedacht, hat jeder seine Freiheit … ich habe sie irgendwie darum beneidet.«
»Warum packen Sie nicht einfach Ihre Sachen und gehen?« schlug Lizzies Mutter vor.
»Das könnte ich, aber ich hätte kein gutes Gefühl dabei.«
»Man lebt nur einmal.« Nun wurde Lizzie von beiden völlig ignoriert.
»Ja, das ist es. Wenn wir nicht nur einmal leben würden, hätte ich nicht solche Schuldgefühle.«
Lizzie versuchte, sich wieder in das Gespräch einzuschalten. »Du schreibst mir nie. Du meldest dich nie bei mir.«
»Worüber sollte ich dir schon schreiben, Lizzie? Du kennst meine Freunde nicht. Ich kenne deine Freunde nicht, und auch nicht die von John und Kate. Aber ich liebe dich noch immer und will nur das Beste für dich, auch wenn wir uns nicht ständig sehen.« Sie hielt inne, als sei sie selbst überrascht, soviel von sich preisgegeben zu haben.
Lizzie war noch nicht überzeugt. »Wenn du uns wirklich lieben würdest, würdest du uns ab und zu besuchen. Dann würdest du dich nicht über meine Wohnung lustig machen und über meinen Vorschlag, hier bei mir zu übernachten. Nicht, wenn du uns lieben würdest.«
»Ich glaube, Mrs. Duffy meint …«, fing Bill an.
»Meine Güte, nennen Sie mich einfach Bernie.« Bill war so verblüfft, daß er vergaß, was er sagen wollte. »Reden Sie weiter, Sie sagten gerade, daß ich meine … Was meine ich denn?«
»Ich glaube, Sie meinen, daß Lizzie Ihnen sehr viel bedeutet, aber daß Sie sich ein wenig auseinandergelebt haben, weil West-Cork ja auch so weit weg ist … und daß Sie gestern nicht hier übernachten wollten, weil Chester seine Vernissage hatte und Sie rechtzeitig dort sein wollten, um ihn moralisch zu unterstützen. Etwas in der Richtung?« Die Fältchen auf seinem runden Gesicht verrieten die Anspannung, als er von einer zur anderen sah. Wenn sie doch nur so etwas gemeint hatte, und nicht, daß sie die Polizei rufen würde oder Lizzie ihr Leben lang nicht mehr sehen wollte!
»Es geht
ein wenig
in diese Richtung«, pflichtete Bernie ihm bei. »Aber nur ein wenig.«
Immerhin etwas, dachte Bill im stillen. »Und als Lizzie den Schlüssel weggeworfen hat, tat sie es deshalb, weil das Leben viel zu schnell vergeht und sie Sie richtig kennenlernen und mit Ihnen reden wollte. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. War es nicht so?«
»Genau.« Lizzie nickte mit Nachdruck.
»Aber, allmächtiger Gott, wie immer Sie
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