Die irische Signora
gibst du deiner Mutter den Schlüssel? Bernie, den behalten Sie jetzt, dann wissen Sie, daß Sie jederzeit gehen können.«
»Wie kommst
du
denn nach Hause, Bill?« fragte Lizzie.
Er sah sie überrascht an. Sonst schien es sie nie zu kümmern, daß er fast fünf Kilometer zu Fuß zurücklegen mußte, wenn er nachts heimging, oder zumindest fragte sie nie danach.
»Ich gehe zu Fuß. Es ist eine schöne, sternenklare Nacht«, erwiderte er. Sie sahen ihn beide an. Er hatte das Bedürfnis weiterzureden, damit dieser Augenblick des Friedens andauerte. »In der Italienischstunde gestern hat die Signora uns einen Satz über das Wetter beigebracht, nämlich daß der Sommer sehr schön war.
E’ stata una magnifica estate
.«
»Das klingt hübsch«, sagte Lizzie. »
E’ stata una magnifica estate
.« Sie wiederholte den Satz ohne Fehler.
»He, du hast es gleich auf Anhieb richtig gesagt. Wir mußten es gestern immer wieder üben.« Bill war beeindruckt.
»Sie konnte sich Sachen schon immer gut merken, schon als kleines Mädchen. Man mußte ihr es einmal sagen und sie hat es für immer im Kopf behalten«. Beinahe stolz betrachtete Bernie ihre Tochter.
Auf dem Heimweg fühlte sich Bill leicht und unbeschwert. Viele der Hindernisse, die ihm so riesig erschienen waren, wirkten nun weit weniger bedrohlich. Er brauchte nicht mehr zu befürchten, daß eine mondäne Mutter in West-Cork ihn, den kleinen Bankangestellten, als schlechte Partie für ihre Tochter ansah. Er mußte sich keine Sorgen mehr machen, daß er für Lizzie zu langweilig war. Denn sie sehnte sich nach Sicherheit, Liebe und einem Halt im Leben, und all das konnte er ihr bieten. Probleme würde es natürlich trotzdem geben. Lizzie würde es nie leichtfallen, mit festen Beträgen hauszuhalten. Sie würde immer großzügig mit Geld umgehen und immer alles sofort haben wollen. Seine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, daß sich ihre Verschwendungssucht in halbwegs vernünftigen Grenzen hielt. Und daß sie sich mit dem Gedanken an Arbeit anfreundete. Wenn ihre verrückte Mutter sich mit Bügeln und Putzen für fremde Leute ihren Lebensunterhalt verdiente, würde Lizzie ihre Maßstäbe vielleicht auch ein bißchen herunterschrauben.
Vielleicht würden sie sogar irgendwann einmal nach Galway fahren und Lizzies Vater besuchen. Damit sie begriff, daß sie bereits eine Familie hatte, daß sie sich nicht mehr eine einbilden und herbeisehnen mußte. Und bald schon würde sie auch zu seiner Familie gehören.
Während andere Leute in Autos oder Taxis vorbeifuhren, spazierte Bill Burke durch die Nacht. Er beneidete keinen von ihnen. Er war ein Glückspilz. Sicher, er hatte sich um Menschen zu kümmern, die auf ihn angewiesen waren. Die ihn brauchten. Aber das war gut so. Denn das bedeutete nur, daß er genau der Richtige dafür war, und vielleicht würde sein Sohn ihn dereinst genauso bemitleiden, wie er heute seinen Vater bemitleidete. Aber das machte nichts. Dann hatte der Junge es eben nicht begriffen. Und wenn schon.
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Kathy
K aum ein anderes Mädchen am Mountainview College lernte so eifrig wie Kathy Clarke. Während des Unterrichts war ihre Stirn stets nachdenklich gerunzelt, sie tüftelte an den Aufgaben herum, hakte nach, stellte Fragen. Im Lehrerzimmer kursierten harmlose Witze über sie. So bedeutete etwa »wie Kathy Clarke schauen«, daß man mit zusammengekniffenen Augen einen Aushang am Schwarzen Brett anstarrte und ihn zu verstehen versuchte.
Sie war ein großes, linkisches Mädchen, trug einen marineblauen, ein wenig zu langen Schulrock und zählte nicht zu denen in der Klasse, die sich Ohrlöcher stechen ließen und sich mit Modeschmuck behängten. Zwar war sie nicht sonderlich gescheit, wollte jedoch gut sein und strengte sich deshalb sehr an. Beinahe zu sehr. Jedes Jahr fanden Elternsprechtage statt, aber eigentlich konnten sich die Lehrer kaum daran erinnern, wer denn wegen Kathy kam.
»Ihr Vater ist Klempner«, erzählte Aidan einmal. »Er hat bei uns die Sanitärinstallationen gemacht, gute Arbeit, aber dann wollte er natürlich bar bezahlt werden, was er mir erst am Ende gesagt hat … als ich mein Scheckheft zückte, ist er fast in Ohnmacht gefallen.« Helen, die Gälischlehrerin, berichtete: »Ich weiß noch, daß ihre Mutter während des ganzen Gesprächs nicht einmal ihre Zigarette aus dem Mund genommen hat und nur ständig fragte: ›Was nutzt es ihr denn, was bringt ihr das fürs spätere Leben?‹«
»Das sagen sie doch alle«,
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