Die irische Signora
einer teuren Wohnung an der Küste, der Vater in einem Pflegeheim, und Geschwister hat sie hier auch überall.«
»Hm, na ja …« Fran wollte nichts hören, was auch nur entfernt nach einer Kritik an der Signora klang.
»Ich finde das einfach eigenartig. Warum nimmt sie sich bei uns ein Zimmer zur Untermiete, wenn es in der Gegend von Angehörigen nur so wimmelt?«
»Vielleicht kommt sie nicht mit ihnen aus. So etwas soll es ja geben.«
»Sie besucht ihre Mutter jeden Montag und zweimal die Woche ihren Vater im Heim. Eine der Pflegerinnen dort hat Suzi erzählt, daß sie ihn in seinem Rollstuhl in den Garten schiebt, dann setzt sie sich unter einen Baum und liest ihm etwas vor. Aber er hockt nur da und starrt vor sich hin, obwohl er bei den anderen Verwandten, die ihn nur alle Jubeljahre mal besuchen, sehr viel gesprächiger ist.«
»Die arme Signora«, entfuhr es Fran. »Sie hat etwas Besseres verdient.«
»Das finde ich auch, Miss Clarke, jetzt, wo Sie es sagen«, pflichtete ihr Peggy Sullivan bei.
Sie hatte auch guten Grund, diesem merkwürdigen Gast dankbar zu sein, mochte sie nun eine Nonne sein oder nicht. Denn auf Peggys Familie übte diese Frau einen ganz wunderbaren Einfluß aus. Suzi verstand sich glänzend mit ihr und kam jetzt viel regelmäßiger nach Hause, und Jerry betrachtete sie beinahe als seine Privatlehrerin. Sie hatte ihnen Stores und dazu passende Kissenbezüge genäht, den Geschirrschrank in der Küche gestrichen und die Blumenkästen neu bepflanzt. In ihrem Zimmer sah es picobello aus. Gelegentlich ging Peggy hinein und schaute sich ein bißchen um, wie man das eben so tat. Aber die Signora schien jetzt nicht mehr zu besitzen als damals bei ihrem Einzug. Sie war ein sehr ungewöhnlicher Mensch. Und es war gut, daß die Leute im Kurs sie alle mochten.
Kathy Clarke war mit Abstand die jüngste ihrer Schülerinnen und Schüler. Ein wißbegieriges Mädchen, das auch Fragen nach der Grammatik stellte, von der die anderen keine Ahnung hatten oder auch gar nichts wissen wollten. Obendrein war sie auch noch hübsch mit ihren blauen Augen und den dunklen Haaren, was man in dieser Kombination in Italien nicht zu sehen bekam. Dort hatten die dunkelhaarigen Schönheiten stets große braune Augen.
Sie fragte sich, was Kathy tun würde, wenn sie von der Schule abgegangen war. Manchmal sah sie das Mädchen beim Lernen in der Bibliothek. Anscheinend hoffte sie, später studieren zu können.
»Was hat denn deine Mutter für Zukunftspläne für dich geschmiedet?« fragte die Signora Kathy eines Abends, als sie nach dem Unterricht die Stühle zusammenstellten. Die anderen Kursteilnehmer standen noch herum und plauderten, niemand hatte es eilig, und das war ein gutes Zeichen. Die Signora wußte mit Sicherheit, daß ein paar noch in den Pub weiter oben am Berg und einige andere auf einen Kaffee gehen würden. Genauso hatte sie es sich erhofft.
»Meine Mutter?« Kathy schien erstaunt.
»Ja, sie wirkt immer so interessiert und anteilnehmend«, sagte die Signora.
»Nein, eigentlich weiß sie gar nicht viel über die Schule und was ich so tue. Sie geht selten aus dem Haus und hat sicherlich keine Vorstellung davon, was ich arbeiten oder studieren könnte.«
»Aber sie kommt doch immer mit dir hierher zum Kurs und arbeitet im Supermarkt, oder nicht? Mrs. Sullivan, bei der ich wohne, sagt, daß sie dort die Chefin ist.«
»Ach, Sie meinen Fran, meine
Schwester
«, erklärte Kathy. »Sagen Sie ihr bloß nicht, daß Sie sie für meine Mutter gehalten haben, sonst wird sie bestimmt fuchsteufelswild.«
Die Signora war verdutzt. »Es tut mir wirklich leid, ich habe das völlig mißverstanden.«
»Na ja, das kann einem aber auch leicht passieren.« Kathy wollte nicht, daß es der älteren Frau peinlich war. »Fran ist die älteste von uns Kindern, ich bin die jüngste. Da ist dieser Gedanke völlig naheliegend.«
Mit ihrer Schwester sprach Kathy nicht darüber. Warum auch? Fran würde nur zum Spiegel rennen und ihr Gesicht nach Falten absuchen. Die arme Signora war eben ein bißchen zerstreut und verstand wirklich oft etwas falsch. Doch als Lehrerin war sie phantastisch. Jeder im Kurs hatte sie gern, auch Bartolomeo, der mit dem Motorrad.
Kathy mochte Bartolomeo, er hatte so ein bezauberndes Lächeln und wußte alles über Fußball. Einmal fragte er sie, wohin sie zum Tanzen ging, und sie erzählte ihm von der Disco im Sommer. Darauf meinte er, gegen Ende des Halbjahres könnten sie sich ja zum
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