Die irre Heldentour des Billy Lynn
oder eine Wohnung, oder irgendjemand zeigt irgendein besonderes Talent –, und mit Glück und einem immensen Aufwand an Seelen- und Körperkräften kann man das ganze Projekt auch eine Zeit lang erfolgreich durchziehen, aber irgendwann verreckt es dann doch. Das ist doch eine so brutal auf der Hand liegende Wahrheit, dass Billy überhaupt nicht begreifen kann, wieso nicht viel mehr Leute die erkennen, deshalb hat er eigentlich nur Verachtung übrig für das öffentliche Schockiert- und Empörtsein, wenn wieder mal irgendwas in die Hose geht. Krieg ist Scheiße? Ach, nee. Elfter September? Manch Ding will Weile haben. Die hassen unsere Freiheit? Nee, die hassen unsern Mumm! Billy hat seine Landsleute im Verdacht, es klammheimlich besser zu wissen, aber irgendwas in diesem Land hat sich in einer pubertären Melodramatik verrannt, in frivolen Inszenierungen von geschändeter Unschuld und wohligem Suhlen in selbstmitleidigem Gefühlsmatsch.
»Scheiße«, murmelt jemand. Ein Bremsschwellenrumms, mitten hinein in die Ruhe – der allgemeine Begeisterungssturm beim ersten Blick auf das Stadion war längst dem verbalen Stillstand gewichen. Vielleicht liegt es am Wetter, an dieser frühwinterlichen Trübsal, dass alle so platt sind, vielleicht auch am Lampenfieber oder schlicht an der Müdigkeit, am drückenden Bewusstsein, dass ihnen heute noch einiges abverlangt werden wird. Schweigenist an sich nicht ihre Stärke, Team Bravo arbeitet lieber mit Quatsch und Tratsch. Und das gebannte introspektive Grauen ist auch schlagartig vorbei, als an einem Strommast neben der Straße ein riesiges, sorgfältig gebasteltes Schild in Sicht kommt. Darauf steht: SCHLUSS MIT ANALVERGEWALTIGUNGEN IM IRAK ! Und darunter hat jemand gekritzelt: Wie blöd ist das denn. Team Bravo heult auf.
Rekrutiert für die Infanterie
SIE SIND ZWEI STUNDEN vor Spielbeginn im Stadion, und anscheinend weiß hier noch kein Mensch, wohin mit ihnen, also werden sie erst mal auf ihren Sitzplätzen zwischengelagert, Heimhälfte, Vierzig-Yard-Linie, siebte Reihe. Sykes und Lodis fangen sofort an zu wetten, was so ein total irrer Platz wohl im freien Verkauf kostet und was er bei eBay brächte, vierhundert Dollar, sechshundert Dollar, sie steigern sich immer höher, einzig und allein aufgrund von Luft und Wunschdenken. Es ist das übliche Flachwichsergequatsche, und Billy hört bald weg. Er hat in der Tat den Gangplatz und wechselt ein paar Worte mit Mango links neben ihm, über gestern Abend und wie geil es ist, jetzt hier zu sitzen und nicht in der FOB Viper, dem vorgeschobenen Feldposten, wo einem andauernd Sand aus den Ohren rieselt. Neben Mango sitzt Hebert, genannt A-bort, neben ihm Holliday, genannt Day, dann Lodis alias Cum Load, Pant Load oder schlicht Load, dann Sykes, der einfach Sucks ist und sonst gar nichts, dann Koch, ausgesprochen Coke, was ihn zu Crack macht, und Crack kills! – vor allem wenn er sich bückt und einen Streifen von seinem Arschzeigt –, danach kommt Sergeant Dime, dann Alberts leerer Platz, und schließlich das ewige Rätsel alias Major Mac. Alle finden es kalt, Billy friert trotzdem nicht. Für den späten Nachmittag sind Graupel und Eisregen vorhergesagt, und durch die offene Stadionkuppel kann man regelrecht zusehen, wie das Wetter immer saumäßiger wird, bald ist die Wolkendecke kratzbürstig wie ein gigantisches Ako-Pads. Die Tribünen sind erst halb voll – es ist noch früh – und summen wie elektrische Bohnermaschinen oder Drehventilatoren leise vor sich hin.
»Load!«, bellt Sergeant Dime. »Wie lang ist ein Footballfeld?«
Lodis schnaubt, so was Einfaches . Lodis muss mindestens zehnmal täglich beweisen, dass Selbstüberzeugtheit das Erkennungszeichen für den echten Vollidioten ist.
»Hunnat Yards, Sergeant.«
»Falsch, du Dumpfbacke. Billy, wie lang ist ein Footballfeld?«
»Hundertzwanzig Yards«, sagt Billy möglichst leise, aber Dime klatscht schon Beifall und animiert auch alle anderen zum Johlen.
Hooah, Billy, hol’s dir. Dimes Marotte, sich Billy rauszupicken und mit Lobhudeleien zu überschütten, und zwar so frontal, dass sich die anderen Bravos zum Hänseln aufgefordert fühlen können, macht ihn argwöhnisch. Es hat etwas von einer Strafaktion, für wen, hat Billy noch nicht raus, aber aggressives Befehlsgehabe ist eine der Spezialitäten des Sergeants. NEIN !, blafft Dime jetzt Sykes an, weil der um Erlaubnis für ein paar kleine Wetteinsätze bittet. Seit Sykes seine Kreditkarten wegen Pornos
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