Die italienischen Momente im Leben
Stunde, um alle drei Reihen auszufüllen, aber das störte ihn nicht. Er bestellte sich einen Campari, zündete sich eine Zigarette an und unterhielt sich mit dem Mann hinter dem Tresen. Doch ich gewann nie. Dann nahm ich meinen Zettel, knüllte ihn zusammen und warf ihn weg. Aber imgleichen Moment dachte ich schon daran, dass ich am nächsten Sonntag vielleicht …
Als Cristina uns ihre drei Zahlen verriet, fragte ich sie, warum sie gerade diese ausgewählt hatte.
»Ganz einfach«, sagte sie, »82 der Diebstahl … 73 die Schauspielerin … und 55 der Hut des Maresciallo!«
4.
GROTTE DI FRASASSI | CORINALDO | JESI
1999
Ich weiß, erfahrene Höhlenforscher werden uns wegen nachfolgender Episode unverantwortlich nennen, aber Künstler handeln eben oft neugierig und impulsiv, die Unvernunft geht mit uns durch.
Es ist Ende Oktober, wir sind auf Tournee in den Marken. Da wir wegen Allerheiligen ein paar Tage keine Vorstellung haben, beschließen mein Kollege Antonio und ich, einen ganzen Tag zur Erkundung dieser reizvollen Region zu nutzen.
»Was hältst du davon, die Niagarafälle zu besichtigen, ohne dafür den Atlantik überqueren zu müssen?«
»Klingt gut, ich bin dabei!«
Wir fahren also nach Genga, eine Kleinstadt auf der Ostseite des Apennin, zu den berühmten Frasassi-Höhlen. Der Regionalpark, in dem sie liegen, bildet zusammen mit anderen Reservaten der Umgebung ein rund tausend Hektar umfassendes Naturschutzgebiet, das größte der Marken. Ich war noch nie hier, aber Antonio hat schon zweimal an dem Rundgang für Touristen teilgenommen. Man kann großartige Tropfsteinformationen bewundern, darunter auch besagte »Niagarafälle«. Sie erinnern zwar nur entfernt an ihr berühmtes amerikanisches Vorbild, doch Staunen und Bewunderung ob so viel Schönheit sind die gleichen. Jahrtausendelang lagerte sich Kalk auf den Felsen ab, das so geschaffene Schauspiel aus Stalaktiten und Stalagmitenist einfach atemberaubend. Und die Phantasie des Menschen hat ihr Übriges getan und diesen Gebilden ihrem Aussehen entsprechend klingende Namen gegeben: »die Riesen« und »der Obelisk«, »Orgelpfeifen«, »toter Baum«, »Grand Canyon« und »Kristallsee«.
Mit Worten kann man dieses sich stetig verändernde unterirdische Paradies kaum beschreiben. Naturdenkmäler von diesen Dimensionen entziehen sich jedem Vergleich, hier stimmen die Proportionen unserer Alltagswelt nicht mehr, und die Besucher scheinen zu schrumpfen. Wasser gleitet, tropft, fällt herab, schafft immer größere Gebilde und türmt im Laufe von Jahren, Jahrhunderten, Jahrtausenden Statuen und Pyramiden auf …
Antonio meint, der übliche Rundgang sei zwar bestimmt ein unvergessliches Erlebnis, aber es gebe da noch zwei alternative Strecken von unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad, eine blaue und eine rote. In Begleitung von Höhlenforschern bekomme man so die Gelegenheit, in Grotten und Stollen vorzustoßen, die der Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich sind, und das sei bestimmt eine einzigartige Erfahrung.
Die nicht ganz so anspruchsvolle blaue Tour dauert zwei Stunden und kostet 25
000 Lire, die andere geht über drei Stunden und dafür muss man gleich das Doppelte berappen. Als wir beim Naturpark anrufen, denn diese Touren werden nur nach vorheriger Anmeldung angeboten, erfahren wir, dass sich für 15 Uhr eine »rote« Gruppe zusammengefunden hat. Wir zögern kurz. »Was machen wir?« Angesichts unserer mangelnden Erfahrung hatten wir eher die blaue Strecke ins Auge gefasst, doch man versichert uns, auch die rote sei für Anfänger zu bewältigen, und so entscheiden wir uns dafür. Overalls, Stiefel und Schutzhelme mit Grubenlampe werden gestellt, doch man rät uns, Frotteekniestrümpfe, einen Trainingsanzug und Garten- oder Spülhandschuhe aus Gummi mitzubringen.
Um 14 Uhr stehen wir also mit unseren Sachen – die Spülhandschuhe haben wir in der Küche unserer Pension stibitzt –an der Kasse, und schon eine halbe Stunde später bringt uns ein Shuttlebus zum Eingang der Höhlen, wo wir den Höhlenforscher und zwei Begleiter treffen. Nach der Ausgabe der Ausrüstung gehen alle in die Umkleiden. Wir sind etwa zwanzig Personen, Antonio und ich sind die Jüngsten. Die Hälfte der Gruppe stellt eine Gesellschaft von Leuten so um die fünfzig, die bis auf eine vollschlanke Signora sehr sportlich wirken. Zunächst laufen wir die Strecke des normalen Touristenrundgangs ab, allerdings halten sich die Führer nicht lange mit den
Weitere Kostenlose Bücher