Die italienischen Momente im Leben
platzte. Da klingelte das Handy des Theaterdirektors. Er wurde kreidebleich, sagte kein Wort, und der Schweiß brach ihm aus. Der Maresciallo begriff, dass es sich um einen anonymen Anruf handelte, nahm ihm das Telefon aus der Hand und antwortete knapp:
»Hallo? … Wer spricht da?«
Er näherte sich mit dem Telefon meinem Ohr und machte mir ein Zeichen, ich solle zuhören:
»Wir haben uns geirrt, Dotto’ … fahren Sie auf der Staatsstraße Richtung Bari, den Lastwagen haben wir auf dem ersten Rastplatz abgestellt.«
Am anderen Ende der Leitung war ohrenbetäubende Musik zu hören, die letzten Worte verstanden wir nicht. Dann wurde die Verbindung plötzlich unterbrochen. Der Maresciallo nahm seinen Hut ab, und während er mit dem Ellbogen über die Bortefuhr, sagte er: »Ich wusste es … Was sollten die auch mit dem Kram anfangen?«
Wir stiegen ins Auto. Mit laut anschwellendem Sirenengeheul, das dem rasanten Aktschluss einer Rossinioper angemessen gewesen wäre, erreichten wir, von zwei Streifenwagen begleitet, den Tatort. Mein Fahrer und ich waren im Wagen des Theaterdirektors mitgefahren, stiegen nun in einiger Entfernung vom LKW aus und näherten uns vorsichtig über den Parkplatz. Der Maresciallo überwachte das Geschehen aus der Ferne. Wir müssen eher wie Diebe ausgesehen haben und weniger wie die rechtmäßigen Eigentümer des Lastwagens. Die Staatsstraße lag verlassen da. Zu unserer Verteidigung hatte der Fahrer eine Bohrmaschine mitgenommen und ich einen Tacker, etwas Besseres hatten wir auf die Schnelle im Theater nicht gefunden. Der Lastwagen war unversehrt, auf den ersten Blick fehlte nichts. Und was noch seltsamer war, der Dieb hatte wahrscheinlich ein so schlechtes Gewissen gehabt, dass er eine Plastiktüte mit einer Schachtel Pralinen auf den Beifahrersitz gelegt hatte. Jedenfalls stand auf einem gelben Post-it-Zettel, es täte ihm sehr leid, er hätte unseren Wagen mit einem, der eine Ladung Zaunlatten transportierte, verwechselt, und dass … er als junger Mann am liebsten Schauspieler geworden wäre (!).
Auch das Leben von Dieben ist manchmal geheimnisvoll und unvorhersehbar.
Am nächsten Tag sahen wir zu, dass wir alle zusammengeborgten Sachen wieder loswurden, und brachen früh nach Polignano auf. Die Vorstellung war ein voller Erfolg gewesen, ausverkauftes Haus, und das Publikum hatte begeistert Beifall gespendet. Bevor wir auf die A14 Richtung Bari fuhren, wollte Cristina, die leidenschaftlich gern Lotto spielt und die Zahlen dafür nach einem bestimmten System auswählt, der sogenannten smorfia napolitana , unbedingt beim nächsten Kiosk anhalten, um ihren Tipp abzugeben. Wie bei allen Glücksspielen, bei denen maneine Vorhersage wagt, ist das System vollkommen subjektiv: der eine wählt die Zahlen nach wichtigen Tagesereignissen aus, andere richten sich nach ihren Träumen oder tippen auf gut Glück. Cristina hatte sich auf diese drei Zahlen 82-73-55 versteift und nötigte uns, 30 Euro in der Lotterie von Bari zu setzen. Höchstgewinn: 20
000 Euro!
Ich habe nie viel von Lotto gehalten. Vielleicht weil ich nie begriffen habe, wie die Gewinnsummen berechnet werden. Manchmal, wenn in meiner Kindheit einer meiner Freunde triumphierend mit hunderttausend – damals noch Lire – in der Hand ankam, die er vielleicht als Hauptgewinn in der Lotterie von Rom gewonnen hatte, dachte ich: »Bestimmt hat der die bloß seiner Mutter geklaut …« Und dann diese blöden Geschichten von Träumen und verstorbenen Verwandten, die dir die richtigen Zahlen vorgeben. Du hast von Urgroßmutter Luisa geträumt, die dich bat, ihre Windel zu wechseln? Na klar, 23, die Zahl für Scheiße. Oder ist dir Großonkel Marcello erschienen – Friede seiner Seele! –, der vor sich hin sabberte und dir irgendetwas zuflüsterte? 32 natürlich, das Gebiss! Nein, Lotto ist nicht mein Spiel. Fußballtoto dagegen schon. Früher konnte man schon für ungefähr tausend Lire spielen und dabei Summen gewinnen, die mich zum Träumen brachten: »Wenn ich gewinne, gebe ich hier alles auf und eröffne eine Eisbude auf den Galapagosinseln.« Heute bekommt man die gleiche Summe schon bei der ersten Frage von »Wer wird Millionär«. Also wenn mich mein Vater zum Fußballtoto rief, hörte ich sofort auf zu lernen. Gemeinsam gingen wir zum Tabakladen an der Ecke, und er erklärte mir mit für ihn ungewöhnlicher Geduld jedes Mal von Neuem, was das x, die 1 und die 2 zu bedeuten hatten. Ich brauchte vielleicht eine halbe
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