Die italienischen Momente im Leben
könnte sich beleidigt fühlen.
Heute gibt es die barchett nicht mehr, aber seit ein paar Jahren kann man die Navigli wieder befahren, dank einer lombardischen Agentur, die Bootstouren auf dem Naviglio Grande und dem Naviglio Martesana organisiert.
Wenn man das gleichnamige ehemalige Arbeiter- und Handwerkerviertel mit seinen engen Gässchen und den gedämpften Lichtern so sieht und dazu noch Nebel vom Wasser aufsteigt, überkommt einen eine romantische, ja fast schwermütige Stimmung, auf jeden Fall kann man hier an den Norighi eine einzigartige Mischung aus gut besuchten Szenelokalen mit lauter Musik und alten Handwerksbetrieben (bei denen oft auch noch die alten Waschhäuser mit ihren Holzdächern erhalten sind) erleben.
Sie möchten mehr sehen als die Navigli, gehen aber eigentlich sonst nicht so gern ins Museum? Trotzdem empfehle ich Ihnen, sich auf keinen Fall das Filmmuseum (im Palazzo Dugnani in der Via Manin 2/B) entgehen zu lassen. Es ist bestimmt nicht das größte Museum der Stadt, aber gerade diese Beschränkung auf weniges macht einen Teil der unbeschreiblichen Faszination dieser kleinen Hommage an das große Kino aus, die sich berühmter Förderer wie Alfred Hitchcock und Frank Capra rühmen kann.
Falls Sie gute Küche lieben und für ein gutes Essen auch etwas mehr ausgeben können, gehen Sie doch ins Peck in der Via Spadari 9, einen Gourmettempel der Extraklasse, der Restaurant, Bar und Caffetteria in einem ist. Mit Sicherheit ein nobler und schrecklich teurer Laden, aber die Delikatessen sind wirklich exquisit, und man findet nicht nur italienische Spezialitäten: neben Parmesankäse und Parmaschinken erwarten Sie Gewürze aus Asien und würzige Soßen aus Afrika. Alles ist im Überfluss vorhanden, wird wunderbar präsentiert, man kann sich gar nicht entscheiden. Und der Weinkeller ist das berühmte Tüpfelchen auf dem i: Die gut bestückten Regale mit erlesenen Weinen sind für jeden Liebhaber edler Tropfen ein unvergesslicher Anblick.
Dieses Mailand der Gegenwart lohnt durchaus einen Besuch, mag Gianna auch noch so sehr alten Zeiten nachtrauern.
Michele Serra, ein befreundeter Journalist, aufmerksamer Beobachter und italienischer Schriftsteller, hat in einem Artikel für das Magazin Storie [5] darüber geschrieben: »Das Mailand meiner Kindheit (in den Sechzigerjahren) war ein großes, nebliges Dorf, angeordnet um die Fabriken und Geschäfte, und alles drehte sich um die Arbeit, nach acht Uhr abends war es völlig verlassen ... Eine Stadt, die im Verborgenen blühte, so bescheiden, dass sie sich in den Häusern eines alten und gebildeten Bürgertums und des ernsten und klassenbewussten Arbeiteradels versteckte. Alles in Mailand war grau und stark, beständig und nicht gerade auffallend, solide und immer ein klein wenig verschämt. Zu verstehen, wie Mailand – fast unglaublicherweise – zu einer ›Stadt mit Profil‹ geworden ist und dabei die eigene Identität verleugnet hat, ist nicht ganz einfach. Dass Mailandsich zur Hauptstadt der Mode entwickelte, wirkt wie ein Treppenhauswitz der Geschichte: ein bisschen, als würde das chaotische Neapel zur Hauptstadt der Ordnung ausgerufen.
Mailand, das einst den eigenen Wert und die eigene bella figura an öffentlicher Effizienz und privater Bescheidenheit festmachte, läuft heute Gefahr, zu einem Schaufenster des Überflusses zu werden.
Wenn man über die Autobahnen des Nordens (die Italien mit dem übrigen Europa verbinden) nach Mailand kommt, sieht man von Weitem das Riesenzelt der Sport- und Konzerthalle Pala Trussardi. Und stößt man weiter in das Herz von Brera vor, in das alte Künstler- und Bohemeviertel (das ich Ihnen wärmstens empfehlen möchte!), trifft man dort auf eine enorme Werbewand von Emporio Armani. Vor der Scala wurde die Fassade des Palazzo Marino, Sitz des Bürgermeisters von Mailand, sechs Monate lang von einer Art Theaterkulisse verborgen, sozusagen einer Reproduktion in Lebensgröße, Werbepartner war Trussardi. Ein Kapitel für sich – und unerschöpfliche Forschungsquelle für Semiologen und Psychologen – sind Mailänder Ladenschilder. Bäckereien werden unvermittelt zu ›Boutiquen des Grissinos‹, ›Casa del Croissant‹ und noch schlimmer, ›Museum der Focaccia‹. Ein Metzger an der Porta Romagna hat sich sogar als ›Bildhauer des Kalbes‹ bezeichnet!«
Zum Glück gibt es erst wenige der von Serra beschriebenen negativen Auswüchse, die heute das Stadtbild prägen, und fairerweise muss man sagen, dass
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