Die italienischen Momente im Leben
Recht, sich schön und elegant zu kleiden und sich nicht immer nur in den Geschäften für »Übergrößen« einzudecken, wo man bekanntermaßen fast nur Kleider findet, die gleich aussehen wie Zirkuszelte. Sie möchte aber gern selbst auswählen können, was sie anzieht, und darauf hat sie ja wohl ein Anrecht. Oder etwa nicht?
Für den Moment begnügt sie sich damit, mit ihrem Handy alles zu fotografieren, was ihr gefällt. Dann geht sie mit den Bildern zu Maria, der Schneiderin von gegenüber, kauft entsprechenden Stoff und lässt sich von ihr die Stücke auf den Leib schneidern. Das kommt sie auch noch 90 Prozent billiger, als wenn sie die Teile kaufte, die die Stylisten für die perfekten Körper anfertigen. Kein Problem, oder?
Trotzdem habe ich die Woche in Mailand sehr genossen. Ständig war was zu sehen, zu feiern und zu bestaunen, in der ganzen Stadt Models, die durch die Straßen schlenderten oder von ihren unmöglichen Roadmanagern im Taxi von Termin zu Termin kutschiert wurden. Hunderte Frauen und Männer in wahlweise Kleidergröße 38 die Damen – in Deutschland wäre das eine knappe 34 – oder bei den Herren Größe 34, eine deutsche 44. Hunderte gespenstische Hungerhaken, die stolz auf ihre »perfekten« Körper sind. Allerdings schaut sie jeder, der ihnen begegnet, zunächst ungläubig an, doch sehr schnell kommt Mitleid und Fürsorge auf, und jedem scheint die besorgte Frage auf der Zunge zu brennen: »O du Ärmste, hast du denn heute überhaupt schon was gegessen?«
Wehmütig erinnere ich mich an die Sechzigerjahre: Lächelnd schwebten die Mannequins leicht und anmutig wie Schmetterlinge über den Laufsteg, sie schienen ihn fast gar nicht zu berühren. Dann sehe ich wieder die Models von heute vor mir, mit ihrem grimmigen Blick und diesem affektierten Gang, bei dem sie ihre Füße über Kreuz setzen müssen und von Zeit zu Zeit auch stolpern oder hinfallen. Zackig reißen sie die Knie nach oben und schreiten über den Laufsteg mit der Anmut eines Gebirgsartilleristen, der sich mit einem 80-Millimeter-Granatwerfer auf dem Rücken einen Gebirgspfad nach oben kämpft. Ach ja, wie anders war das doch früher!
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Was fällt Ihnen ein, wenn Sie Mailand hören, mal abgesehen von Mode und Wirtschaftsmetropole? Der Dom und das »Abendmahl« von Leonardo, wenn Sie sich für Kunst interessieren? Bestimmt macht das auch die Hauptstadt der Region Lombardei aus, aber das ist längst nicht alles. Zum Glück. Sollten Sie planen, in der Stadt der madunina Ihren Urlaub zu verbringen, wie die Einwohner liebevoll die goldene Marienstatue hoch oben auf der Spitze des Doms getauft haben, und so wie ich weitere unvergessliche Erinnerungen suchen, dann lesen Sie meine Tipps für die verborgenen Winkel der Stadt.
Als Erstes wären da die wunderbaren Navigli, diese alten, von dem berühmten Leonardo da Vinci mitgestalteten Kanäle, die sich durch Mailand ziehen. Es gab sie wohl schon zu Kaiser Hadrians Zeiten, ab dem elften Jahrhundert wurden sie erweitert und waren nicht zuletzt wegen ihrer Bedeutung als Wasserstraßen für den zunehmenden Handel und den damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung Mailands verantwortlich. Wenn die Sonne auf dem Wasser glitzert, erinnert Mailand hier an andere attraktive italienische Städte wie Venedig und Florenz. Und wenn dann die Nacht hereinbricht und sich dank der vielen hervorragenden Bars und kleinen Restaurants die Ufer beleben, fühlt man sich gleich in einer ganz anderen Welt als in der Stadt der versnobten Haute Couture.
Ich konsultiere meinen Reiseführer: »Früher gab es auf den Kanälen die barchett , die Boote, die auf der langen Strecke zwischen Mailand und Pavia verkehrten und Menschen und Lasten beförderten. Die Fahrt kostete nicht viel, dauerte allerdings auch sehr lange, und deshalb nannte man sie Armenschiffe. Um den Passagieren die Zeit zu verkürzen, kamen Bänkelsänger an Bord, die sogenannten torototèla , der Name erinnert lautmalerisch an die Refrains der improvisierten Lieder. Diese Sänger begleiteten sich selbst mit einer Art Gitarre, die aus einem ausgehöhlten Kürbis, einem Brett und einer Schnur bestand.« Das gemächliche Tempo der Schiffe hat sich in einer Redewendung der Mailänder erhalten. Wenn sie sehen, wie sich jemand schwerfällig und mit übertriebener Langsamkeit bewegt, dann meinen sie: » El par el barchett de Boffalora «, also »der kommt einem ja so vor wie das Boot aus Boffalora«. Aber sagen Sie das ja nicht zu Gianna, sie
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