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Die Jaeger der Nacht

Die Jaeger der Nacht

Titel: Die Jaeger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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Geruch wittern. Mehr als einmal haben sie ihr Maul in meine Richtung gedreht und mich identifiziert, die Nüstern weit gebläht wie ein stummer, feuchter Schrei. Da laufe ich viel lieber allein unter dem dämmernden Himmel.
    Wie jeden Abend breche ich früh auf. Als ich durch das Schultor komme, strömen schon Schüler und Lehrer auf Pferden oder in Kutschen herein, graue Umrisse in trüber Finsternis.
    Heute ist es bewölkt und besonders dunkel. »Dunkel« ist ein Begriff, den mein Vater verwendete, um die Nacht zu beschreiben, wenn alles von Schwärze bedeckt ist. Im Dunkeln muss ich blinzeln, einer der Gründe, warum es so gefährlich ist. Alle anderen blinzeln nur, wenn sie etwas Saures essen oder etwas Verfaultes riechen. Niemand blinzelt, bloß weil es dunkel ist; das ist extrem verräterisch, weshalb ich darauf achte, dass nicht einmal ein leichtes Runzeln meine Stirn kräuselt. In jedem Kurs sitze ich in der Nähe der Quecksilberlampe, die einen kargen Schimmer verströmt (die meisten Leute haben es lieber dunkelgrau als stockfinster). Das senkt das Risiko des unwillkürlichen Blinzelns. Die Leute hassen es, in der Nähe dieser Lampen zu sitzen – zu grell –, sodass ich dort immer einen Platz finde.
    Ich mag es auch nicht, im Unterricht aufgerufen zu werden. Ich habe überlebt, indem ich in der Masse untergetaucht bin und jede Aufmerksamkeit vermieden habe. Im Unterricht aufgerufen zu werden, ist wie ein Scheinwerfer, der allein auf mich gerichtet ist. Wie heute, als mich der Lehrer in der Mathestunde anspricht. Er ruft häufiger als jeder andere Schüler auf, deshalb verabscheue ich den Mann. Außerdem hat er eine absolut mickrige Handschrift, sodass sein blasses Gekritzel an der Tafel in dem dunklen Grau unmöglich zu entziffern ist.
    »Nun, H6? Was denkst du?«
    H6 ist meine Kennung, weil ich in Reihe H, auf Platz 6 sitze. Meine Kennung hängt immer davon ab, wo ich gerade bin. In Gemeinschaftskunde bin ich zum Beispiel als D4 bekannt. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich diese Aufgabe auslasse?«, frage ich.
    Er starrt mich mit leerem Blick an. »Allerdings, ja. Das ist schon das zweite Mal diese Woche.«
    Ich blicke zur Tafel. »Ich bin da wirklich überfragt.« Ich widerstehe der Versuchung, die Zahlen erkennen zu wollen, weil ich Angst habe, versehentlich zu blinzeln.
    Er senkt kurz die Lider. »Nein, das akzeptiere ich nicht. Ich weiß, dass du es kannst. In den Klassenarbeiten gehörst du immer zu den Besten. Du kannst diese Gleichung im Schlaf lösen.«
    Schüler drehen sich um und sehen mich an. Nur ein paar, aber genug, um mich nervös zu machen. Besonders die Person direkt vor mir, Ashley June. Ihre Bezeichnung in dem Kurs ist eigentlich G6, aber in Gedanken habe ich sie, seit ich sie vor Jahren zum ersten Mal gesehen habe, immer Ashley June genannt, und diese Kennung ist haften geblieben.
    Sie dreht sich um und sieht mich mit ihren großen grünen Augen an. Scheinbar verständnisvoll, als hätte sie endlich mitgekriegt, dass ich von hinten oft sehnsüchtig auf ihr volles rotbraunes Haar starre (diese prachtvolle, blendende Farbe!) und mich wehmütig daran erinnere, wie seidig sich dieses Haar vor so vielen Monaten in meiner Hand angefühlt hat. Sie erwidert meinen Blick, und in ihren Augen flackert Überraschung auf, als ich den Blick nicht abwende, wie ich es sonst schon seit Jahren tue. Seit ich ihr Interesse an mir gespürt habe. Seit ich fühle, wie es mein eigenes Herz zu ihr zieht.
    »H6?« Der Lehrer tippt mit der Kreide an die Tafel. »Versuch es wenigstens, komm schon.«
    »Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Was ist denn in dich gefahren? Das ist für dich doch Anfängerkram.« Er sieht mich an. Ich bin einer der intelligenteren Schüler der Schule und er weiß das. In Wahrheit könnte ich problemlos der beste Schüler sein, wenn ich wollte – gute Noten fallen mir in den Schoß, ich muss dafür nicht mal lernen –, aber ich stelle mich absichtlich dümmer. An der Spitze bekäme ich zu viel Aufmerksamkeit. »Komm. Lass es uns zusammen versuchen. Lies mir die Gleichung erst mal nur vor.«
    Die Situation hat sich unvermittelt verschärft, aber kein Grund, in Panik zu geraten. Noch nicht.
    »Schätze, mein Verstand ist noch nicht richtig wach.«
    »Dann lies bitte einfach nur die Frage vor. Das ist alles.« Seine Stimme hat einen strengen Unterton angenommen.
    Mit einem Mal gefällt mir das Ganze überhaupt nicht mehr. Er fängt an, es persönlich zu nehmen.
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