Die Jaeger der Nacht
getaucht. Es gilt als erstes Anzeichen von Ertrinken, wenn auch nur Nase und Ohren unter der Wasseroberfläche verschwinden. Rettungsschwimmer werden ausgebildet, darauf zu achten: Wenn sie einen Kopf auch nur halb unter Wasser sehen, greifen sie nach Trillerpfeifen und Rettungsringen. Deswegen ist das Wasser selbst am tiefen Ende nur hüfthoch. Abgründe gehen den Leuten unter die Haut, machen sie völlig hilflos und ohnmächtig. Wenn sie mit den Füßen nicht den Boden berühren können, sobald ihr Kinn unter Wasser gerät, werden sie reflexartig von Panikattacken ergriffen. Sie erstarren und sinken. Deshalb gilt Schwimmen auch als die Domäne der Adrenalinjunkies, derjenigen, die einen Flirt mit dem Tod suchen. Aber das ist es wirklich nicht. In dem Becken hier kann man sich beim ersten Anzeichen von Problemen einfach hinstellen. Das Wasser ist so flach, dass nicht mal der eigene Bauchnabel darin verschwindet.
Aber an jenem Tag habe ich den Kopf einfach unter Wasser getaucht. Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Ich habe den Kopf untergetaucht und diese Sache mit meinem Atem gemacht. Ich habe ihn gepackt. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Ich habe ihn bei geschlossenem Mund in meinen Lungen festgehalten. Und ein paar Sekunden lang war es okay. Mehr als nur ein paar Sekunden sogar. Zehn oder so. Ich hatte meinen Kopf zehn Sekunden unter Wasser und bin nicht ertrunken.
Ich hatte nicht einmal Angst. Ich habe die Augen geöffnet und meine Arme blass und verschwommen vor mir gesehen. Ich habe meinen Vater schreien gehört und das Geräusch von Wasser, das mir entgegenschwappte. Ich habe ihm erklärt, dass es mir gut geht. Ich habe ihm gezeigt, was er machen muss. Zuerst hat er mir nicht geglaubt und immer wieder gefragt, ob wirklich alles in Ordnung ist. Aber irgendwann hat er es selber probiert. Es hat ihm nicht gefallen, kein bisschen.
Als wir das nächste Mal schwimmen waren, habe ich es wieder getan. Und dann noch etwas anderes. Diesmal habe ich, den Kopf unter Wasser, die Arme ausgestreckt und dann nacheinander über meinen Kopf gezogen, als wollte ich an dem Wasser ziehen. Und dazu habe ich mit den Beinen gestrampelt. Es war fantastisch. Dann habe ich mich hingestellt, weil ich Wasser geschluckt hatte. Ich spuckte es aus und mein Vater watete besorgt auf mich zu. Aber ich war schon wieder unterwegs, kraulte mit den Armen, trat Wasser mit den Füßen und ließ meinen Vater in meinem Kielwasser zurück. Ich konnte fliegen.
Aber als ich zurückschwamm, schüttelte mein Vater wütend und ängstlich den Kopf. Er musste gar nichts sagen (obwohl er mir trotzdem eine Standpauke hielt); ich wusste es schon. Er nannte es »den verbotenen Stil«. Er wollte, dass ich nie mehr so schwamm. Also tat ich es nie mehr.
Aber heute ist das Wasser eiskalt, alle tun nur so als ob und quatschen sogar miteinander, die Köpfe grinsend über Wasser, während sie mit ihren Händen und Füßen paddeln wie Enten in einem Teich. Ich möchte schnell schwimmen, kräftig strampeln, warm werden.
Und dann spüre ich es. Ein Schauder, der meinen ganzen Körper erfasst.
Ich hebe den rechten Arm. Er ist mit einer Gänsehaut überzogen – widerliche kleine Pusteln wie auf der Haut eines Vogels. Ich paddele schneller und treibe meinen Körper nach vorn. Zu forsch. Mein Kopf stößt gegen den Fuß des Schwimmers vor mir. Als es ein zweites Mal passiert, dreht er sich um und wirft mir einen wütenden Blick zu.
Ich schwimme langsamer.
Die Kälte kriecht mir in die Knochen. Ich muss aus dem Wasser und in die Umkleidekabine flüchten, bevor das Zittern außer Kontrolle gerät. Aber als ich die Arme hebe, sind sie von einer ekligen Gänsehaut überzogen wie von einer Luftpolsterfolie. Für jedermann sichtbar. Dann passiert etwas Eigenartiges mit meinem Kiefer. Er klappt auf und zu, vibriert und lässt meine Zähne gegeneinanderschlagen. Ich beiße sie fest zusammen.
Als das Team die Runde absolviert hat, machen wir eine kurze Pause, bevor es auf die nächste Bahn geht. Wir sind alle zu schnell geschwommen und haben jetzt zwölf Sekunden bis zur nächsten Runde. Das werden die längsten zwölf Sekunden meines Lebens.
»Die haben vergessen, die Heizung anzumachen«, beschwert sich irgendjemand. »Das Wasser ist zu kalt.«
»Die Hausmeister. Wahrscheinlich zu beschäftigt damit, über die Deklaration zu quatschen.«
Das Wasser reicht uns bis zur Hüfte, doch ich bleibe in der Hocke, den ganzen Körper untergetaucht. Ich
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