Die Jaegerin
Wunde. Hell und durchschimmernd, sodass sie sah, wie sich das Fleisch darunter zusammenschob. Das alles ging viel zu schnell vonstatten. Fleisch und Haut dehnten sich über die Maßen, Knochen verschoben sich und Organe heilten. Obwohl Daeron nicht bei Bewusstsein war, wand er sich vor Schmerz. Auch als nichts mehr daran erinnerte, dass es die Wunde je gegeben hatte, war es nicht vorüber. Obwohl es für ihn künftig keine Krankheit mehr geben würde, glühte sein Leib vor Hitze. Die Qualen, als sich seine Sinne öffneten, ließen ihn immer wieder aufbrüllen. Er fantasierte und war kaum bei Besinnung. Bei jedem Geräusch zuckte er zusammen. Gerüche irritierten ihn. Selbst das gedämpfte Licht einer Kerze schmerzte ihn so sehr, dass es Tage dauerte, ehe er überhaupt in der Lage war, die Augen zu öffnen. Er sprach wirr, und für einige Zeit fürchtete Catherine, er würde dem Wahnsinn anheimfallen. Sie versuchte die Umwandlung zu beschleunigen, indem sie ihn mit Tierblut nährte. Anfangs verweigerte er es. Schließlich jedoch siegten seine Instinkte. Mit dem Blut schwanden seine Schmerzen und sein Bewusstsein kehrte zurück. In dieser Zeit hatte Catherine begonnen, ihm aus dem Weg zu gehen. Wann immer er wach war, war sie auf die Jagd gegangen oder hatte sich in einen anderen Teil der Ruinen Dun Domhainns zurückgezogen. Während der ersten Tage war er zu sehr in Agonie verfallen gewesen, als dass er sie hätte zur Rede stellen können. Sie war nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt erkannte. Doch nun, da er allmählich wieder zu Kräften kam, war der Zeitpunkt gewiss nicht mehr fern, an dem er sie mit der bitteren Wahrheit konfrontieren würde. Sie hatte sein Leben genommen und ihn zu einem Dasein in Blut und Schatten verdammt. Dafür würde er sie hassen, ebenso wie sie ihren Vater deswegen hasste. Das würde sie nicht ertragen. Und es gab nur einen Weg, das zu verhindern. Sie musste ungeschehen machen, was sie ihm angetan hatte. Nachdem sie das begriffen hatte, war sie zu Vater Ninian gegangen. Sie war bereit ihr Leben zu geben, wenn das den Fluch von Daeron genommen hätte. Zu hören, dass es keine Heilung gab, erschütterte ihre Hoffnung. Ihre Verzweiflung war so groß gewesen, dass sie sogar daran gedacht hatte, Daerons Leben auszulöschen, indem sie ihm eine silberne Klinge ins Herz stieß, und sich anschließend selbst auf dieselbe Weise zu richten. Für eine Weile hatte sie sich an den Gedanken geklammert, auf diesem Wege endlich erlöst zu werden. Dann jedoch hatte sie sich gefragt, ob die Kreatur in ihr es tatsächlich zulassen würde, dass sie sich etwas antat. Und selbst wenn es ihr gelingen sollte, würde der Unendliche weiterexistieren und weiterhin Leid über arme Seelen bringen. Sei es nun durch seine eigenen Taten oder durch die seiner Kreaturen. Er war der Keim. Er musste vernichtet werden. Dann wäre auch Daeron frei – und sie ebenfalls. Womöglich bedeutete es ihrer beider Ende, doch das war weit besser, als jenes schreckliche Dasein zu fristen, das sie so sehr verfluchte.
»Nicht einfach«, wiederholte sie Vater Ninians Worte leise. Aber auch nicht unmöglich. Das Wissen, dass es ein Relikt gab, mit dessen Hilfe es möglich wäre, den Unendlichen zu vernichten, entzündete den Funken Hoffnung in ihrem toten Herzen erneut. Wenn dieses Artefakt tatsächlich existierte, würde sie es finden!
Catherine war nicht zu Daeron zurückgekehrt. Die Gewissheit, dass er sie für das, was sie ihm angetan hatte, hassen würde, hielt sie davon ab. Sie hatte seinen Blick gesehen, als sie ihn umgewandelt hatte. Das Grauen in seinen Augen, als er begriff, dass sie ihn nicht sterben lassen würde … Er hatte versucht sich ihr zu entziehen, doch sein sterbender Leib hatte nicht mehr die nötige Kraft dazu gehabt. Ich habe ihm nicht einmal eine Wahl gelassen. Daeron war in jener Nacht nicht gestorben. Dennoch hatte sie ihn verloren.
»Ich mache es wieder gut«, flüsterte sie und griff nach den Büchern, die vor ihr auf dem Tisch lagen, um sie in ein Fach zu legen, aus dem sie sie morgen wieder holen würde. Seit sie Daeron in Dun Domhainn zurückgelassen hatte, suchte sie nach Hinweisen auf jene Reliquie, von der Vater Ninian gesprochen hatte. Mächtig sollte sie sein. Das war alles, was sie wusste. Anfangs war es schwierig gewesen, überhaupt einen Ansatz zu finden. Sie war umhergezogen und hatte jeden Priester und Messdiener befragt, dem sie begegnet war. Da sie sich den Kirchen nicht weiter als auf
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