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Die Jaegerin

Die Jaegerin

Titel: Die Jaegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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einige Schritte nähern konnte, hatte sie in den Pubs und Dorfschenken auf die Gottesmänner gewartet. Sie gab vor, einen Disput mit ihrem Bruder darüber zu haben, welches die heiligste aller kirchlichen Reliquien wäre. Nun wollte sie die Meinung der Priester dazu wissen. An unzähligen Abenden hatte sie zahllose Geschichten verschiedenster Heiliger und der von ihnen bevorzugten, inzwischen als heilig angesehenen Gegenstände zu hören bekommen. Nichts davon erschien ihr mächtig genug, um dem Unendlichen zu schaden.
    In den größeren Städten suchte sie die öffentlichen Bibliotheken auf. Der Zugang zu kirchlichen Archiven blieb ihr verwehrt. Zu sehr fühlte sie sich von diesen Orten abgestoßen. Sie stieß auf einige Gegenstände, von denen sie annahm, dass sie tatsächlich eine gewisse Macht ausübten – zumindest auf die Gläubigen. Doch weder das Turiner Grabtuch noch diverse Kelche oder Statuen aus dem Vatikan schienen ihr dazu angetan, einen Vampyr zu vernichten. Drei Jahre vergingen, sie wollte schon aufgeben, als sie endlich auf etwas stieß. Ein Pfarrer in der Nähe von Edinburgh berichtete ihr von einem schwarzen Kruzifix, in dem ein Splitter aus dem Kreuze Jesu eingearbeitet sein sollte. Was konnte mächtiger sein als ein Bruchstück des Wahren Kreuzes? Die Ehrfurcht, mit der der alte Mann über das Kreuz sprach, bestärkte Catherine in ihrer Überzeugung, dass es sich dabei um jene vielvermögende Reliquie handeln musste, von der Vater Ninian gesprochen hatte. Seither hatte sie ihre volle Aufmerksamkeit auf das Schwarze Kreuz gerichtet und war schließlich nach London gereist. Monatelang hatte sie die Bibliotheken und Archive der Metropole durchkämmt, hatte jeden noch so winzigen Hinweis in einem inzwischen reichlich abgenutzten Notizbuch vermerkt. Letztlich waren die Spuren versandet. Dennoch gab es Anhaltspunkte, die darauf hindeuteten, dass das Kreuz in Edinburgh sein könnte. Bisher hatte sie nur wenige Anzeichen gefunden, dass dem tatsächlich so war. Sie hatte allerdings erst einen Bruchteil der Bücher und Schriften eingesehen. Grund genug, weiterhin auf einen Fund zu hoffen. Für heute jedoch hatte sie genug getan. Es war an der Zeit, in das kleine Zimmer zurückzukehren, das sie gemietet hatte. Gleich morgen früh würde sie ihre Suche fortsetzen.
    Das Rauschen des Regens mischte sich mit den regelmäßigen Atemzügen des Bibliothekars. Catherine schob das letzte Buch in ihr Fach und wandte den Kopf. Eine kleine Kerze hüllte den grauhaarigen Mann, der über seinem Pult eingeschlafen war, in spärlichen Schein. Den Kopf zur Seite geneigt offenbarte er einen Teil seines Halses. Catherines Blick heftete sich auf die Ader, die voller Leben unter der Haut pulsierte. Der Hunger, der nun schon seit Tagen ihr steter Begleiter war, übermannte sie. Die Kreatur in ihr drängte vorwärts. Ihre Röcke raschelten leise. Dann stand sie plötzlich vor dem alten Mann. Ihr Blick schweifte einmal mehr durch den Raum, glitt über Regale und Lesetische. Außer ihr und ihm war niemand hier. Lange würde sie ihren Hunger nicht mehr zügeln können. Sollte sie …?
    Sie beugte sich über ihn und sog durch die Nase die Luft ein. Seiner faltigen Haut entströmte dieser eigene leicht modrige Geruch, der alte Menschen häufig umgab. Dennoch wäre sein Blut eine willkommene Abwechslung zu den Betrunkenen, an denen sie sich sonst labte. Sie waren leichte Beute, doch selbst ihr Blut schmeckte nach dem billigen Fusel, mit dem sie sich bis zur Bewusstlosigkeit betranken. Der Bibliothekar wäre wohltuend anders im Geschmack. Sie würde ihn nicht töten – sie tötete nie! Außer in ihren Träumen. Catherine beugte sich noch weiter vor. Ihre rotbraunen Locken rutschten über ihre Schulter nach vorne und streiften den Mann am Arm. Catherine fuhr erschrocken zurück, doch er erwachte nicht. Noch immer hing ihr Blick an seiner Halsschlagader. Nur ein paar Schlucke. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf und trat einen weiteren Schritt vom Pult zurück. Nicht hier! Nicht, solange sie an diesen Ort zurückkehren wollte! Das war zu gefährlich. Vor allem, seit die Gazetten voll von Berichten über blutleere Leichen waren. Dennoch war es unumstößlich, dass sie Nahrung brauchte.
    Schon einmal hatte sie es zu lange hinausgezögert. Daraufhin hatte die Kreatur in ihr die Kontrolle übernommen und ihren Hunger gestillt. Catherine war eine Gefangene in ihrem eigenen Körper gewesen. Sie hatte alles mit ansehen müssen, ohne etwas

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