Die Jaegerin
noch gehen. Morgen jedoch sollte sie ihren Hunger stillen. Catherine beugte sich vor und blies die Kerze aus. Dabei fiel ihr Blick auf den Evening Courant , der neben dem Alten auf dem Tisch lag. Sie sah die Schlagzeile und überflog den Artikel, der von einer weiteren Schreckenstat des Wahnsinnigen Schlächters kündete, ohne den Worten wirklich Aufmerksamkeit zu schenken. Doch dann blieb ihr Auge am Namen des Opfers hängen: William Swann. William! Der Traum! Brennende Hitze schoss durch ihren Körper. Ehe sie vor Entsetzen erstarren konnte, machte sie abrupt kehrt und stürmte in die Eingangshalle. Sie griff nach ihrem Mantel, der neben der Tür an einem Haken hing, und stürzte durch das große Portal nach draußen. Vor der Tür blieb sie stehen und schlüpfte rasch in den Mantel. Die Kälte machte ihr nichts aus, Catherine hieß sie sogar willkommen, vertrieb sie doch die Hitze des Schreckens. Dennoch versuchte sie so viele menschliche Gewohnheiten wie möglich beizubehalten. Sie konnte es sich nicht erlauben, aufzufallen. Eine Frau, die ohne Mantel durch den eisigen Märzregen lief und danach nicht einmal einen Schnupfen bekam, würde zweifelsohne Aufmerksamkeit erregen. Während sie den Wollstoff um ihre Schultern zog, ließ sie ihren Blick über die Straße wandern. Nebel drückte von den Hängen des nahe gelegenen Arthur’s Seat auf die Stadt herab, strich träge durch die Gassen und hüllte den Schein der Straßenlaternen in milchigen Schimmer. Das nasse Kopfsteinpflaster glänzte schwarz im Mondlicht. Die Bibliothek lag, wie die übrigen Universitätsgebäude auch, mitten in der Stadt. Dicht an dicht stehende Häuser neigten sich mit ihren mächtigen Fassaden aus dunklem Stein tief in die schmalen Gassen. Nur wenige Straßen waren breit genug für eine Droschke oder ein Fuhrwerk. Catherine bevorzugte morgens auf dem Weg zur Bibliothek jene Gassen, deren Pflaster kaum jemals vom Licht berührt wurden. Dort, tief in den Schatten der engen Wynds und Closes, konnte sie sich selbst bei Tag nahezu ungehindert bewegen.
Im Gegensatz dazu konnte sie jetzt, im Schutze der Nacht, die großen Straßen nehmen. Sie trat auf die Nicolson Street und wandte sich nach links. Der Regen schlug ihr ins Gesicht, als sie der leicht ansteigenden Straße mit raschen Schritten folgte. An der Kreuzung zur Drummond Street, unweit der Bibliothek, stand eine Droschke. Catherine hatte Mitleid mit dem armen Kutscher, der sichtlich auf Kundschaft wartete. Mit eingezogenem Kopf saß der Mann auf dem Bock, die Kappe tief im Gesicht. Ein ausgesprochen dürftiger Schutz vor dem strömenden Regen. Für einen Kutscher war die Nacht nicht ungefährlich. Vor allem seit die Morde die Stadt in Angst und Schrecken versetzten. William . Das musste ein Zufall sein! Wie jeder andere auch verfolgte Catherine die Berichte über die grausige Mordserie. Den Wahnsinnigen Schlächter nannten sie ihn. Sie hegte keinen Zweifel, dass es sich um einen Vampyr handelte. Aber doch nicht um mich! Seit sie Daeron verlassen hatte, war sie immer wieder auf Spuren gestoßen, die auf die Existenz weiterer Vampyre hindeuteten. Catherine hatte keine davon verfolgt. Sie hatte am eigenen Leib erlebt, welches Unheil diese Wesen über die Menschen brachten. Dass sie töteten, war dabei noch das geringste Übel. Catherine wollte ihnen nicht begegnen. Sie wollte sie vernichten! Doch für einen offenen Kampf war sie nicht stark genug. Deshalb konzentrierte sie all ihre Energie darauf, das Schwarze Kreuz zu finden. Wenn der Unendliche fiel, brauchte sie sich um seine Kreaturen keine Sorgen mehr zu machen.
Die Drummond Street lag bereits ein ganzes Stück hinter ihr, als sie die ratternden Räder einer Droschke vernahm. Unaufhörlich rumpelte das Gefährt näher. Statt jedoch an ihr vorüberzufahren, wurde die Droschke langsamer und fuhr schließlich auf gleicher Höhe neben ihr her. Catherine wollte dem Kutscher gerade sagen, dass sie keine Fahrt benötigte, als sie sah, dass seine Augen nicht auf sie, sondern auf die Straße gerichtet waren. Da wurde neben ihr das Kabinenfenster heruntergeschoben. Ein Mann blickte ihr aus dem schattigen Inneren entgegen. Sein Haar war von so hellem Blond, dass es beinahe weiß wirkte, und seine Hakennase hob sich deutlich vor der Dunkelheit ab. Der Geruch von Tabak und Whisky umwehte ihn wie billiges Parfüm. Selbst hier, auf dem Bürgersteig, spürte sie seine Wärme. Das gleichmäßige Schlagen seines Herzens drang an ihr Ohr wie das
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