Die Jaegerin
dagegen tun zu können. In jener entsetzlichen Nacht, damals in London, war die Kreatur so sehr im Blutrausch gewesen, dass sie drei Menschen getötet hatte. Sie hatte ihnen die Kehlen herausgerissen und ihren Mund mit sprudelndem Blut gefüllt. Satt und zufrieden hatte sich die Kreatur schließlich zurückgezogen und es Catherine überlassen, mit den entsetzlichen Bildern fertig zu werden. Die enge Gasse. Die Stille. Einzig das Geräusch von Schritten war zu vernehmen, als sich ihre Opfer mit hastigen Schritten durch die Nacht bewegten. Eine Familie. Die Eltern mit einem kleinen, vielleicht fünfjährigen Sohn. Der Vater warf immer wieder besorgte Blicke in die Umgebung. Es war keine sichere Gegend und sichtlich fürchtete er überfallen zu werden. Dass es weitaus schlimmer kommen würde, ahnte er nicht. Catherine versuchte umzukehren und die Gasse zu verlassen, doch die Kreatur drängte voran. Das Monster in ihr jubelte und erfreute sich an der Jagd. Es spielte mit seinen Opfern. Obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, sich lautlos zu bewegen, verursachte sie immer wieder absichtlich ein Geräusch. Die Familie wurde nervös. Die Frau schob sich immer enger an ihren Mann, den Arm schützend um den kleinen Jungen gelegt. Catherine wollte ihnen zurufen, sie mögen fliehen, doch die Kreatur erlaubte es nicht. Schließlich – als die Familie beinahe rannte – zeigte sich das Wesen hinter ihnen. »Warten Sie!« Es war Catherines Stimme. Die Verzweiflung, die dem Tonfall innewohnte, entsprach tatsächlich ihren eigenen Empfindungen. Aber die Worte entstammten nicht ihrem Willen, sondern dem der Kreatur. »Bitte laufen Sie nicht weg!«
Der Mann wandte sich um. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, doch seine Miene entspannte sich merklich. Zweifelsohne schätzte er Catherine nicht als Gefahr ein. Er war gut einen Kopf größer als sie und beinahe doppelt so breit. Er warf seiner Frau einen aufmunternden Blick zu, dann trat er einen Schritt nach vorne. »Brauchen Sie Hilfe, Miss?«
Die Kreatur nickte und kam näher. Catherine fühlte, wie sich ihre Hände, die sie in den Manteltaschen verborgen hielt, veränderten. Fliehen Sie! , wollte sie brüllen, als sie die messerscharfen Klauen spürte, zu denen ihre Finger geworden waren. Drehen Sie sich nicht um und laufen Sie, so schnell Sie können! Stattdessen rief die Kreatur furchtsam: »Ich habe mich verirrt.«
»Dies ist eine üble Gegend.« Mitleid und Fürsorge prägten nun die Züge des Mannes. »Begleiten Sie uns ein Stück. Schon bald kommen wir in eine Gegend, in der –«
In diesem Moment sprang die Kreatur vor und riss ihm mit einem einzigen Hieb die Kehle heraus. Die Frau und der Junge drängten sich kreischend aneinander. Gelähmt vor Furcht würden sie nicht entkommen. Die Kreatur beugte sich über den Mann, der auf dem Pflaster zusammengebrochen war. Sprudelndes Blut füllte Catherines Mund. Niemals zuvor hatte es derart abstoßend und widerwärtig geschmeckt. Sie spürte den wilden Triumph der Kreatur in sich und die Stärke, die ihren Körper mit jedem Tropfen mehr durchflutete. Catherine wollte schreien. Sie wollte sich losreißen von dem toten Leib, der vor ihr auf dem Boden lag, doch die Kreatur hatte noch nicht genug. Nachdem sie sich am Lebenssaft des Mannes gelabt hatte, erhob sie sich langsam und wandte sich der Frau und dem Kind zu.
Die Erinnerung ließ sich nicht verdrängen. Catherine sah die entsetzten Gesichter noch immer vor sich. Das Grauen in ihren Zügen, als sich die Klauen in ihr Fleisch gruben und ihnen das Leben herausrissen. Stundenlang hatte sie ihre Hände mit einer Bürste geschrubbt. Selbst als das Blut längst fortgewaschen war, hatte sie nicht aufhören können. Wieder und wieder hatte sie Hautschicht um Hautschicht abgerieben. Sie konnte beobachten, wie sich sofort neue rosige Haut bildete, und hatte diese augenblicklich wieder abgescheuert. Sie zitterte und weinte und hätte in diesem Moment alles dafür getan, einfach sterben zu können. Sie wollte nie wieder töten! Und seit jener Nacht hatte sie es auch nicht mehr getan. Es war das erste und einzige Mal gewesen, dass die Kreatur die Oberhand gewonnen hatte. Catherine würde dafür sorgen, dass es nie wieder geschah! Wenn die Albträume ihr jedoch weiterhin den Schlaf raubten, würde sie das nicht nur um ihre Fähigkeit zur Regeneration, sondern auch um die Kontrolle über das Monster in ihr bringen.
Ihre Augen ruhten noch immer auf dem Bibliothekar. Heute würde es
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