Die Jagd am Nil
reichte ihr Gaille, holte die Schere hervor, ritzte eine tiefe Kerbe in den feuchten Kalkstein, drückte die Querseite eines Bretts hinein, das er wie eine Zugbrücke senkte, bis es schräg an der gegenüberliegenden Wand festklemmte. Er schwamm hinüber, stemmte sich auf das höhere Ende und stampfte so lange darauf herum, bis es fest saß und in der Mitte durchhing. Lily schrie schon vor Überanstrengung auf. Er nahm ihr Gaille wieder ab, zog sie auf das Brett und legte sie auf den Rücken. Dann half er auch Lily hoch und gab ihr die Taschenlampe.«Ich muss mir diese Mauer aus
talalat
anschauen», sagte er. «Es wird nicht lange dauern.»
Knox füllte seine Lungen mit Luft, tauchte auf den Grund des Schachts und tastete blind den Schotter ab, bis er das Loch gefunden hatte, in dem der Stein gesteckt hatte. Er bearbeitete die Mauer mit der Schere. Bald begannen seine Lungen zu brennen. Er tauchte wieder auf, holte erneut Luft und kehrte schnell nach unten zurück. Sollten ihm Khaled und seine Männer folgen, würde ihm nicht viel Zeit bleiben.
III
Khaled kletterte das Seil als Erster hinunter. Eigentlich hatte er auf dem Felsvorsprung auf Faisal warten wollen, doch seine Neugier war stärker. Auf einen Hinterhalt gefasst, leuchtete er mit seiner Taschenlampe in die Eingangskammer und ging dann vorsichtig in den Gang. Irgendwie erregte ihn die Situation.
Von vorn hörte er ein Geräusch. Er blieb stehen, kauerte sich zusammen und zückte seine Walther. Aber es war nur das in den Schacht spritzende Wasser. Mit etwas Glück hatte es ihm die Arbeit abgenommen. Doch als er weiterging, hörte er ein anderes Geräusch, das mit dem ersten fast im Einklang war: Eine schluchzende Frau. Auf Zehenspitzen näherte er sich dem Rand des Schachts und spähte hinab.
Gaille lag nur ein kleines Stück über dem steigenden Wasserpegel ausgestreckt auf einem Brett, ihr Kopf in Lilys Schoß. Stafford war nicht zu sehen, genauso wenig der mysteriöse Fremde. Dann aber kräuselte sich das Wasser, und er tauchte nach Atem ringend auf.
Khaled steckte leise seine Walther weg. Eine Pistole war fürdiese Aufgabe ungeeignet. Außerdem hatte er sich schon immer gefragt, was eine Handgranate im Ernstfall anrichten konnte. Er nahm sie vom Gürtel, zog mit den Zähnen den Stift heraus und warf sie in den Schacht.
Kapitel 54
I
Aus dem Augenwinkel nahm Knox eine Bewegung wahr. Als er aufschaute, sah er Khaled die Handgranate in die Mitte des Schachts werfen. Wie betäubt verfolgte er ihren Flug. Auch Lily hatte sie bemerkt, schrie auf und schloss die Augen, als könnte sie damit Tod und Verstümmelung entgehen. Ihr Schrei riss Knox aus seiner Erstarrung. Mit ausgestreckten Armen hechtete er der Granate entgegen, angetrieben von dem Gedanken, sie zurückzuwerfen, obwohl er genau wusste, dass es zwecklos wäre.
Sie schlug auf den Ballen seiner rechten Hand und war schwerer, als er gedacht hatte. Wie ein Bleiball prallte sie von seiner Hand ab und platschte ins Wasser. Er sprang hinterher, berührte sie mit den Fingerspitzen und bekam sie schließlich zu fassen. Doch er war bereits so weit unter Wasser, dass zum Nachdenken keine Zeit blieb. Er tauchte tiefer, stopfte die Granate in das Loch in der Mauer, drehte dann ab und tauchte auf, hoffend, der Kalkstein schützte ihn vor –
Die Detonation wirbelte das Wasser auf und riss ihm den Boden unter den Füßen weg. Alles drehte sich, in seinem Kopf dröhnte es, er fuchtelte wild mit den Armen umher, schluckte Wasser und wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Er schlug mit dem Kopf gegen die Mauer und rutschte an den rauen Steinen entlang. Dann fand er sein Gleichgewicht wieder, stieß sich vom Boden ab und durchbrach prustend und keuchend die Oberfläche. Das Brett war durch die Druckwelle heruntergefallen, neben ihm strampelte Lily. Und dann strömte plötzlich das Wasser hinaus, sodass er,Lily und Gaille verwirrt inmitten der Bretter auf dem Boden des Schachts strandeten.
Knox schaute nach oben. Khaled starrte entsetzt hinab und tastete nach seiner Pistole. Kurz darauf blitzte die Mündung auf und Schüsse prallten von Wand zu Wand. Lily reagierte als Erste und warf sich durch das klaffende Loch, das die Granate in die Mauer gerissen hatte, in eine neue, halb mit Wasser gefüllte Kammer. Knox hob Gaille auf, stürzte hinterher und stieß dabei gegen Staffords Leiche, die mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb. Er schaute nach vorn zu Lily, die mit der Taschenlampe unheimliche Muster
Weitere Kostenlose Bücher