Die Jagd am Nil
den Kopf in den Sand stecken, wenn es um den Exodus geht. Das Thema ist heutzutage zu heikel für ein muslimisches Land. Ich kritisiere Sie deswegen nicht …»
«Das klingt für mich aber so.»
«Ich sage nur, dass ich verstehen kann, warum Sie sich von diesem Thema abwenden.»
«Ziemliches Kunststück mit dem Kopf im Sand.»
«Sie wissen, was ich meine.»
«Ja», sagte Fatima. «Sie glauben, ich verdrehe aus Bequemlichkeit oder Karrierismus archäologische Fakten.»
«Verzeihen Sie», schaltete sich Lily hastig ein. «Das hat Charles nicht gemeint. Nicht wahr, Charles?»
«Natürlich nicht», sagte Stafford. «Ich habe von der etablierten Wissenschaft im Allgemeinen gesprochen. Ich meine die sogenannten Ägypten-Experten, die niemals auch nur in Betracht ziehen würden, dass die Bibel Licht auf die ägyptische Geschichte werfen könnte.»
«Wen meinen Sie?», wollte Fatima wissen. «Ich habe solche Leute noch nie getroffen.»
«Ich behaupte keinen Moment, dass die Bibel nur auf Fakten beruht», fuhr Stafford fort. «Aber sie ist nun mal unsere beste Quelle über die Ursprünge des Judaismus. Wer kann beispielsweise bezweifeln, dass es in Ägypten im zweiten Jahrtausend vor Christus eine große Zahl Sklaven gegeben hat, die später als Juden bekannt geworden sind? Und wer kann bezweifeln, dass sie Konflikte mit ihren ägyptischen Gebietern bekommen haben und in einem Massenexodus geflohen sind, angeführt von einem Mann namens Moses? Oder dass sie Jericho und andere Städte gestürmt und zerstört haben, ehe sie sich in und um Jerusalem niederließen? Das ist das grobe Gerüst dessen, was geschehen ist. Unsere Aufgabe als Historiker besteht darin, es bestmöglich mit Leben zu füllen.»
«Ach», meinte Fatima. «Das ist unsere Aufgabe, ja?»
«Ja», sagte Stafford selbstgefällig. «Das ist unsere Aufgabe. Und dabei stoßen wir sofort auf ein Problem. Denn es gibt keinebekannten ägyptischen Berichte über einen solchen Exodus. Natürlich war er für die Ägypter nicht so bedeutend wie für die Juden. Da ist einfach eine Gruppe Sklaven geflohen. Verständlich. Allerdings ist es nicht so, als hätten wir keine Hinweise. In der Genesis wird zum Beispiel Joseph als derjenige benannt, der die Hebräer nach Ägypten gebracht hat. Und in Josephs Geschichte werden Streitwagen erwähnt, und zwar nicht einmal, nicht zweimal, sondern
dreimal
. Aber die Ägypter kannten erst ab der achtzehnten Dynastie Streitwagen. Die Juden können also niemals vor der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts vor Christus in Ägypten angekommen sein. Und dann gibt es die Merenptah-Stele, die von einem Sieg über den Stamm Israels in Kanaan berichtet. Der Exodus muss also um 1225 vor Christus, als die Inschrift verfasst worden ist, bereits stattgefunden haben. Dadurch haben wir einen zeitlichen Rahmen: 1550 – 1225 vor Christus. Oder, anders gesagt, irgendwann während der achtzehnten Dynastie. Einverstanden?»
«Ihre Logik ist vortrefflich», sagte Fatima.
«Danke», sagte Stafford. «Schauen wir einmal, ob wir die Zeit noch weiter eingrenzen können. Die Ptolemäer beauftragten einen gewissen Manetho, die Geschichte Ägyptens zu schreiben. Seine Königsliste bildet noch heute die Basis für unser Verständnis der antiken dynastischen Struktur.»
«Was Sie nicht sagen.»
«Manetho war ein ägyptischer Priester, und er hatte Zugriff auf die Berichte im Tempel von Amun in Heliopolis. Er identifizierte einen Mann namens Osarsiph als den biblischen Moses. Zu Zeiten von Pharao Amenophis war Osarsiph Priester, und anscheinend sammelte er unter Außenseitern und Aussätzigen ein Gefolge um sich. Er wurde so mächtig, dass Amenophis im Traum die Götter erschienen, die ihm befahlen, Osarsiph aus Ägypten zu vertreiben. Doch stattdessen vertrieb Osarsiph Amenophis und regiertedreizehn Jahre lang, ehe er schließlich verbannt wurde. Dadurch haben wir also nicht nur eine unabhängige Bestätigung des Exodus, wir haben auch solide Hinweise für unsere Suche nach Moses. Diesen Osarsiph und diesen Pharao Amenophis.»
«Während der achtzehnten Dynastie gab es vier Pharaonen mit dem Namen Amenophis. Auf welchen bezieht sich Manetho Ihrer Meinung nach?»
«Er schrieb, dass der Pharao einen Sohn namens Ramses hatte. Da Ramses ein Name der neunzehnten Dynastie war, bezog sich Manetho eindeutig auf einen der späteren, wenn nicht sogar auf den letzten Amenophis.»
«Ach, sieh an.»
«Osarsiphs dreizehnjährige Regentschaft erscheint auf
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