Die Jagd am Nil
geben.»
«Bitte», sagte Fatima. «Seien Sie mein Gast.»
«Ich bin bereits Ihr Gast», stellte Stafford fest, deutete vornehm mit seinem Glas über die Tafel und verschüttete Wein wie Blut über sein geliehenes Gewand. Verärgert wischte er die Tropfen weg und schickte sich an, seine These zu vollenden.
II
Normalerweise hatte Inspector Naguib Hussein keine Probleme damit, die Polizeiarbeit zu vergessen, sobald er nach Feierabend seine Haustür hinter sich geschlossen hatte. Normalerweise heiterten seine Frau und seine Tochter seine Laune auf. Doch nicht an diesem Abend, nicht einmal als er sich bückte, damit Husniyah ihre Arme um seinen Hals schlingen konnte, und er die Kleine hochhob. Er versuchte, sich seine Sorgen nicht anmerken zu lassen, als er sie durch den Perlenvorhang in die Küche trug und sie verstohlen auf den Kopf küsste. Mit einer Mischung aus Kummer und Stolz fiel ihm auf, wie voll und schwarz ihr Haar war und wie die blasse Kopfhaut hindurchschimmerte.
Yasmine schaute vom Herd auf. Ihre Augen waren müde, und ihre Haut glänzte vom Kochdampf. «Das riecht gut», sagte er. Er versuchte, einen Happen aus dem Topf zu stibitzen, aber sie gab ihm einen Klaps auf die Hand. Die beiden lächelten sich an. Nach dreizehn Ehejahren konnte ihn die herzliche Unbekümmertheit ihrer Liebe noch immer überraschen. Husniyah setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, einen Zeichenblock auf dem Schoß, und malte Bilder von Tieren und Bäumen und Häusern. Er schaute ihr über die Schulter, lobte ihr Geschick und stellte Fragen. Doch schon bald war er abgelenkt und grübelte über die Übel der Welt nach; erst als ihn Yasmine an der Schulter berührte, merkte er, dasssie mit ihm gesprochen hatte. Er schüttelte den Kopf, um klar zu werden, und rang sich sein wärmstes Lächeln ab. «Ja?», fragte er.
«Du hast irgendetwas auf dem Herzen», sagte sie.
«Nichts Bestimmtes.» Aber ohne dass er etwas dagegen tun konnte, fiel sein Blick auf seine Tochter.
«Husniyah, Liebes», sagte Yasmine sanft, «würdest du uns bitte einen Moment allein lassen?» Die Kleine schaute verwirrt auf, doch wie immer gehorchte sie ihren Eltern, sammelte ihre Sachen zusammen und ging ohne zu murren hinaus. «Und?», fragte Yasmine.
Naguib seufzte. Manchmal wünschte er, seine Frau würde ihn nicht so gut kennen. «Wir haben heute eine Leiche gefunden», erzählte er.
«Eine Leiche?»
«Eine junge Frau. Ein Mädchen.»
Automatisch schaute Yasmine zum Perlenvorhang. «Ein Mädchen. Wie alt?»
«Dreizehn. Vielleicht vierzehn.»
Die nächste Frage fiel ihr sichtlich schwer. «Und wurde sie … ermordet?»
«Das kann man noch nicht sagen», erwiderte Naguib. «Aber wahrscheinlich ja.»
«Das sind schon drei in einem Monat.»
«Die anderen beiden wurden unten in Assiut gefunden.»
«Na und? Vielleicht sind die Täter hierhergekommen, weil die Situation dort zu heiß geworden ist.»
«Wir wissen nicht, wie lange diese Leiche schon dagelegen hat. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Fälle etwas miteinander zu tun haben.»
«Aber du vermutest es, oder?»
«Es ist möglich.»
«Was wirst du dagegen tun?»
«Nicht viel», sagte er. «Gamal setzt andere Prioritäten.»
«Was soll wichtiger sein, als die Mörder dieser Mädchen zu finden?»
«Bei der angespannten Lage hält er es nicht für den richtigen Zeitpunkt …» Naguib verstummte. Hinter dem Vorhang hatte Husniyah zu singen begonnen, scheinbar nur für sich selbst, doch in Wirklichkeit, damit ihre Eltern sie hörten, damit sie wussten, dass sie da war und sie beschützen konnten.
«Versprich mir, dass du die Täter suchen wirst», sagte Yasmine bestimmt. «Versprich mir, dass du sie fasst, bevor sie erneut töten.»
Für einen Moment sah Naguib wieder diese elenden, in die Plane eingewickelten mumifizierten Überreste vor sich. Welches Gesicht würde er wohl beim nächsten Mal finden? Er schaute seiner Frau direkt in die Augen, so wie er es bei wichtigen Dingen immer tat, um sie wissen zu lassen, dass sie ihm vertrauen konnte. «Ja», versprach er, «das werde ich.»
III
«Sind sie was geworden?», fragte Omar und beugte sich hinüber, um die Fotos auf dem Display von Knox’ Handy zu betrachten.
«Konzentrieren Sie sich lieber aufs Fahren», sagte Knox. Das Getriebe des Jeeps knirschte schon wieder, als Omar schaltete.
«Oh», meinte Omar. «Sie sind ziemlich dunkel, oder?»
«Vielleicht sollte ich sie an Gaille schicken», überlegte Knox. «Wenn
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